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Aus Ausgabe 1/98 (Juli)Verurteilung wegen Verstoß gegen das Rechtsberatungsgesetz
In den Jahren 1995/96 hatten Detlev Beutner und Rainer Scheer von der TKDV-Initiative Braunschweig in zwei Fällen befreundete Totalverweigerer in deren Strafprozessen wegen Dienstflucht bzw. Fahnenflucht verteidigt. In einem mehr als ungewöhnlichen Verfahren versucht die deutsche Strafjustiz nun, die Selbsthilfestrategie JUT (Juristische Unterstützung für Totalverweigerer) mit dem Rechtsberatungsgesetz, einem Gesetz aus der Nazizeit, zu kriminalisieren. Detlev Beutner und Rainer Scheer hatten in zwei Fällen befreundete Totalverweigerer, Steffen Loecke und Sven Kiebler im Strafprozeß verteidigt. Hierfür hatten sie nach § 138 Abs. 2 StPO beantragt, als Wahlverteidiger zugelassen zu werden. Die jeweils damit befaßten Gerichte, AG Münster im Fall von Sven und AG Husum bzw. AG Neumünster im Doppelbestrafungsprozeß gegen Steffen, sahen hinreichende Sachkunde und Vertrauenswürdigkeit als gegeben an und gaben den Anträgen statt. Als im zweiten Verfahren die Akten vom AG Braunschweig zunächst wochenlang unauffindbar waren und anschließend rechtlich unzulässig das Kopieren der Akten verweigert wurde, legten Detlev und Rainer Dienstaufsichtsbeschwerde gegen den die Akteneinsicht rechtlich unzulässig beschränken wollenden Mitarbeiter der Geschäftsstelle ein. Nun fühlte sich das AG Braunschweig von den zu professionell arbeitenden Nichtjuristen auf den Schlips getreten. Amtsgerichtspräsident Brackhahn verwarf die Dienstaufsichtsbeschwerde mit freundlichen Grüßen und erstattete gleichzeitig Anzeige bei der StA gegen Detlev und Rainer wegen Verstoß gegen das RBerG. Daraufhin fanden bei beiden Hausdurchsuchungen statt, bei denen nicht nur fünf Kisten Altpapier (!) durchgewühlt, sondern auch alle Verfahrensakten und sonstiger Schriftverkehr beschlagnahmt wurden. Anschließend verschickte die StA Bußgeldbescheide in Höhe von jeweils 1.600, DM, in denen allerdings fünf Verstöße mit Bußgeld bedacht wurden. Die StA sah eine unerlaubte Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten nicht nur in den zwei Fällen der ersten Hauptverfahren gegen Steffen Loecke und Sven Kiebler, sondern auch im Doppelbestrafungsverfahren gegen Steffen Loecke, obwohl das AG Neumünster dieses Verfahren wegen Verbot der Doppelbestrafung rechtskräftig eingestellt und damit ja ganz explizit festgestellt hatte, daß es sich hierbei um ein und dieselbe Sache handele. Auf diese Weise führte die StA Braunschweig die Idee der Doppelbestrafung, wenn sie schon im Verfahren gegen Steffen Loecke keinen Erfolg hatte, dann eben gegen seine Verteidiger fort. Doch damit noch nicht genug: auch zwei weitere, jedoch gescheiterte, Zulassungsversuche, wurden als Verstöße gegen das RBerG gewertet, da bereits die ...Beratung über die Möglichkeit der Strafverteidigung... einen solchen darstellen würde. Nachdem Detlev und Rainer gegen die Bußgeldbescheide Einspruch eingelegt hatten, fast zwei Jahre vergangen waren, in denen sich zwei Richter nicht an die Sache herantrauten, kam es am 18.05.1998 im Anschluß an das ebenfalls in Braunschweig stattgefundene Bundestreffen kurz vor der Verjährungsfrist doch noch zur Hauptverhandlung. Die Verhandlung, mit etwa 60 Zuschauern recht gut besucht, fand im größten Saal des AG statt. Detlev und Rainer wurden von RA´in Barbara Kramer und Dr. Helmut Kramer, der ehemaliger Richter am OLG Braunschweig ist und sich selbst ebenfalls gem. § 138 Abs. 2 StPO zulassen lassen mußte, verteidigt. Ein StA mit Namen Meyer-Ulex, der übrigens einem gewissen Herrn Stalin nicht ganz unähnlich sah (es muß allerdings gesagt werden, daß letzterer an Plattheit von seinen Double noch um einiges übertroffen wurde), und sich im Laufe des gesamten Verfahrens nun schon zu so etwas wie einem persönlichen Freund der Angeklagten entwickelt hatte, eine Richterin namens Quade-Polley, die noch ihre Probezeit am AG Braunschweig abzusitzen hatte alles vor dem Hintergrund, daß der Anzeigeerstatter der Präsident des AG Brackhahn selbst war dies waren nicht gerade Voraussetzungen, die optimal oder aussichtsreich zu nennen sind. In den Einlassungen von Detlev und Rainer setzten sich die beiden sehr intensiv mit den teils komischen, teils absurden Ereignissen im Vorverfahren auseinander, erläuterten die Intentionen des JUT-Projektes als Strategie der Totalverweigerungsbewegung und zeigten dabei auf, daß die damit verbundenen Absichten weit von der im RBerG gemeinten Geschäftsmäßigkeit entfernt sind. Sie betonten, daß es Ihnen nicht darum ging, möglichst viele TKDVer zu verteidigen, Natürlich gibt es die Bereitschaft, befreundeten Totalverweigerern ihre in jahrelanger Beschäftigung mit diesem Thema erworbenen Spezialkenntnisse zur Verfügung zu stellen, wofür jedoch immer ein bestimmtes Maß an menschlicher sowie politischer Übereinstimmung Voraussetzung war. Weiterhin thematisierten sie die Problematik des RBerG und dessen Anwendung. Die Eigenheit des RBerG, wie auch vieler anderer nationalsozialistischer Gesetze, besteht darin, daß sie einen sehr weit gefaßten oder interpretierten Tatbestand besitzen, unter den zunächst sehr viel subsumiert werden kann, jedoch ganz gezielt, willkürlich und selektiv mit diesem gegen bestimmte Personengruppen vorgegangen wird. So zeigten sie auf, daß es in vielen Lebensbereichen Situationen gibt, die zweifellos unter den Tatbestand des Art. 1 §§ 1,8 Abs.1 Nr.1 RBerG fallen, jedoch so selbstverständlich, opportun und gesellschaftlich anerkannt sind, daß niemand auf die Idee käme, sie mit dem RBerG zu verfolgen. So ist dies bspw. beim Ehemann, der Rechtsangelegenheiten seiner Ehefrau besorgt, bei beiläufigen Unterhaltungen im Zugabteil über mietrechtliche Probleme, aber auch bei Gesprächen unter Juristen in der Gerichtskantine. Aber auch bei ganz normaler KDV-Beratung, die in hunderten von Beratungsstellen in der ganzen BRD angeboten wird. Diesen Umstand haben sich die Braunschweiger zunutze gemacht und im Vorfeld der Verhandlung eine Selbstanzeigenkampagne gestartet, in der sich Menschen, die in mehreren Fällen KDV-Beratung getätigt haben, sich eines Verstoßes gegen das RBerG bezichtigen, und kündigte im Falle ihrer Verurteilung die Übergabe von 50 Selbstanzeigen an, womit die StA wohl in nächster Zeit nur noch mit Verstößen gegen das RBerG zu tun hätte. Um der Tatsache, daß den StA täglich hunderte von Verstößen gegen das RBerG durch die Lappen gehen, auch in diesem Gerichtssaal noch ein wenig mehr an Realität zu verleihen, übergaben die beiden Braunschweiger, sich die Aufgabe der StA zu eigen machend, zwei weitere Strafanzeigen wegen Verstößen gegen das RBerG, deren Sachverhalte lediglich durch aufmerksames Zeitungslesen zutage getreten waren. Angezeigt wurden Theo Waigel, seines Zeichens Bundesfinanzminister, der einem Herrn Michael Jackson Steuertips gegeben hatte, und der Rechtsextremist Manfred Roeder, der vorm Untersuchungsausschuß des Bundestages zur Aufklärung rechtsextremistischer Vorfälle in der Bundeswehr als Rechtsbeistand eines Rolf Vissing aufgetreten war. Nach den Einlassungen hielt StA Meyer-Ulex sein Plädoyer. Er beteuerte, dieses Verfahren sei keineswegs ein politisches und auf eine Ebene gezogen worden, auf die es nicht gehört. Das RBerG in seiner heutigen Fassung habe ja nun wirklich nichts mehr mit nationalsozialistischen Tendenzen zu tun, und in seiner Stimme lag fast weinerliches Bedauern er müsse, müsse, müsse hier eine Verurteilung beantragen. Um die Richtigkeit dieses Ergebnisses zu stützen, zog er eine recht kühne Parallele zu illegalen professionellen Inkassobüros (!), die ja auch mit dem RBerG strafrechtlich verfolgt würden. Es folgten nun die Plädoyers der Verteidigung, die zusammen mehr als 21/2 Stunden dauerten und eine ungeheure Menge an Fakten zum RBerG und dessen Anwendung hervorbrachten. RA´in Barbara Kramer wies sehr überzeugend nach, daß keiner der reklamierten Schutzzwecke bzw. der dahinterstehenden Rechtsgüter tangiert oder gar verletzt ist. Der Schutz der Rechtssuchenden und der Rechtspflege kann schon deshalb nicht verletzt sein, da die gewählten und nach § 138 Abs. 2 StPO zugelassenen Verteidiger unter ständiger Aufsicht des Gerichts stehen und so hinreichende Sachkenntnis oder Vertrauenswürdigkeit gerichtlich überprüft wird. Ist eine solche nicht gegeben, erfolgt keine Zulassung. Der Schutzzweck der Rechtsanwaltschaft vor Konkurrenz kann in Fällen einer Rechtsberatung auf unentgeltlicher, altruistischer Basis überhaupt nicht tangiert sein, denn hier ist niemals die wirtschaftliche Grundlage der Rechtsanwälte betroffen. Wenn also eine solche Rechtsberatung ebenfalls nach dem RBerG strafbar sein soll, so kann die Regelung des § 138 Abs. 2 StPO gleich gestrichen werden kann, denn dann wäre dies ein Recht, daß der Staat dem Bürger gewährt, jedoch mit dem RBerG sofort wieder zurücknimmt auch hier wieder eine Parallele zur TKDV, wo der Staat mit der Gewissensfreiheit ein Recht des Bürgers postuliert, es anschließend jedoch durch seine (militärischen) Interessen wieder begrenzt, ja, bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt. Helmut Kramer, einer der kompetentesten Juristen der BRD auf dem Gebiet NS-Unrecht und weiterführende Kontinuitäten in der heutigen Rechtsprechung beschäftigte sich in seinem fast zwei Stunden dauernden Plädoyer mit einer Vielzahl von Entscheidungen bundesrepublikanischer Gerichte zum RBerG und deren sowohl inhaltlicher als auch personeller Parallelen zur Rechtsprechung des Reichsgerichtes von 1935-1939. Jede einzelne dieser von ihm zusammengetragenen Fakten und Verstrickungen erzeugte für sich bereits eine Stimmung ungeheurer Betroffenheit, der mensch sich nicht entziehen konnte und vermittelte in seiner Gesamtheit zumindest ein vages Gefühl davon, welch strukturelles Unrecht hinter dem RBerG und dessen praktischer Anwendung steht. Er unterstrich vor allem, daß es eben nicht ausreiche, ein guter Jurist zu sein, um Recht zu sprechen, denn auch im III. Reich waren es exzellente Juristen, die solche schrecklichen und unmenschlichen Urteile gefällt hatten. Anschließend überreichte auch er der StA eine Selbstanzeige, da er bereits in einer Vielzahl von Fällen außerhalb seiner Tätigkeit als Richter verschiedenen Menschen, vor allem in Rehabilitierungsverfahren, rechtliche Hilfe hatte zuteil werden lassen. Dabei verwies er auf die über 40 Meter Akten, die im Falle einer Hausdurchsuchung bei ihm gefunden werden könnten So als Tip..., mit Blick auf Meyer-Ulex, der spätestens jetzt seine Pattsituation begriff und hocherrötet etwas tiefer in seinen Stuhl versank.Damit beantragte die Verteidigung Freispruch. Die Richterin unterbrach nun die Verhandlung und vertagte auf den 20. Mai, weil sie trotz vorheriger Ankündigung, daß die Verhandlung den ganzen Tag in Anspruch nehmen wird, noch zwei weitere Strafverfahren terminiert hatte, erkennbar in der Absicht, die Öffentlichkeit zu minimieren. Am Mittwoch, dem 20. Mai nutzte Detlev noch ausgiebig die Gelegenheit des letzten Wortes, um noch einmal zu resümieren. Hier wurden auch ganz persönliche Worte an StA und Richterin, die durch ihre Verhandlungsführung bereits Tendenzen hatte erkennen lassen, gerichtet. Meyer-Ulex fühlte sich dadurch (zu recht) derart persönlich angegriffen, daß er sich zu einer Erwiderung genötigt sah, die sich zu einem interessanten Schlagabtausch zwischen ihm und Detlev auswuchs, in dessen Verlauf sich Meyer-Ulex intellektuell endgültig disqualifizierte. Keine 10 Minuten zog sich die Richterin Quade-Polley zur Beratung zurück, womit sie natürlich nur ihre juristische Professionalität mittels schneller Rechtsfindung unter Beweis stellte. Wie sie es allerdings zu Wege gebracht hatte, in dieser Zeit etwa 8 DIN A4-Seiten vollzuschreiben, blieb allein ihr Geheimnis. Detlev und Rainer wurden wegen angeblichen Verstoßes gegen das RBerG in drei Fällen zu einer Gesamtgeldbuße von je 1.100 DM verurteilt. Die beiden Fälle, in denen die Zulassung nicht erfolgte, wurden entgegen dem Antrag der Verteidigung, die eine Entscheidung in der Sache gewünscht hatte eingestellt. In ihrer Urteilsbegründung führte Quade-Polley aus, die angegebene langjährige Beobachtung von Strafprozessen sei ein erhebliches Indiz für das Vorliegen von ´geschäftsmäßiger Rechtsberatung. Die rechtsfehlerhafte Bewertung des Auftretens als Verteidiger im Doppelbestrafungsprozeß gegen Steffen Loecke als eigenständiger Verstoß wurde damit begründet, daß es sich hierbei um zwei verschiedene Verfahren an zwei verschiedenen Amtsgerichten gehandelt habe, womit sie sich über die rechtskräftige Wertung des AG Husum, die das Verfahren ja gerade eingestellt hatten, weil es sich um ein und dieselbe Sache handelte, schlicht hinwegsetzte und darüberhinaus die ausgiebig erörterte Tatsache ignorierte, daß die verschiedenen Gerichtsstände nur durch die BW mittels Einberufung in eine andere Kaserne erzeugt wurde. Im Anschluß an die Urteilsverkündung übergaben Detlev und Rainer die 50 Selbstanzeigen der KDV-BeraterInnen an die StA. Die Braunschweiger werden auf jeden Fall Rechtsbeschwerde einlegen, über die das OLG Braunschweig entscheiden wird, wobei klar ist, daß sie gerade an diesem Gericht, an dem sehr finstere Entscheidungen bezüglich des RBerG gefällt wurden, objektiv keine Chance hat. Nichtsdestotrotz ist dies notwendig, um den Weg zum BVerfG freizumachen. Bleibt abzuwarten, ob sich dieses dann auch wiederum Parallel zu Verfassungsbeschwerden von TKDVern durch einen Nichtannahmebeschluß weigert, sich zu schreiendem, aber politisch gewolltem Unrecht zu verhalten. Klar ist auch, daß der Ausgang dieses Verfahrens Auswirkungen auf das Selbsthilfekonzept JUT haben wird, was uns jedoch nicht daran hindern sollte, es weiterhin zu praktizieren. (je) Für weitere Informationen stehen Euch die Braunschweiger selbst zur Verfügung:
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