02.08.99

Es geht auch ohne Zivis - Die Wohlfahrtsverbände beginnen umzudenken


Quelle: Nürnbergr Nachrichten von Georg Escher

Der große Aufschrei ist ausgeblieben. Natürlich haben einige Wohlfahrtsverbände aufgeschreckt reagiert, als bekannt wurde, dass im Sparpaket des Bundesfinanzministers auch die Streichung von 30 000 der rund 137 000 Zivildienststellen bis zum Jahr 2003 vorgesehen ist. Doch von wenigen Stimmen, die sogleich eine "Pflegekatastrophe" kommen sahen, waren die Proteste ausgesprochen harmlos. Wohl auch deswegen, weil die Streichungen zunächst bei der Landschaftspflege, bei Gärtnereien oder im Handwerk ansetzen sollen, nicht aber bei den sozialen Diensten. Dennoch, so langsam scheinen sich die Verbände der Vorstellung zu nähern, dass der Zivildienst in absehbarer Zeit sogar ganz wegfallen könnte.

Alles hängt am Wehrdienst

Die Frage ist eigentlich nur noch, ob dies schon in dieser Legislaturperiode beschlossen wird oder erst in der folgenden. Alles hängt davon ab, wie lange es den Wehrdienst noch geben wird. Ob die Bundeswehr in den kommenden Jahren von 330 000 auf 280 000 Mann schrumpfen oder möglicherweise noch mehr verschlankt wird, sehr wahrscheinlich ist in jedem Fall: die Wehrpflicht wird abgeschafft.

Gedankenspiele, die von einer Verkürzung auf nur noch fünf Monate ausgehen, darf man getrost als rein akademisch ansehen. Daraus wird nichts werden. In dieser Kürze kann keine sinnvolle soldatische Ausbildung geleistet werden. Schon gar nicht in einer Armee, die
immer stärker technisiert ist und - siehe Kosovo - auch eine fundierte psychologische Schulung erfordert.

Ohne Wehrdienst wird es aber auch keinen Zivildienst mehr geben können. Und es geht auch ohne. Schon vor Jahren wurde in seriösen Studien eindrucksvoll belegt, dass die sozialen Dienste mit Zivildienstleistenden volkswirtschaftlich keineswegs billiger sind, als
dies bei professionellen Kräften der Fall wäre. Billig sind sie nur für die Wohlfahrtsverbände, weil jede Zivi-Stelle mit knapp 20 000 Mark pro Jahr vom Steuerzahler subventioniert wird.

Bestätigt werden diese Modellrechnungen nun auch durch ein Arbeitspapier des Diakonischen Werks Baden-Württemberg, das ein Szenario ohne Zivildienst erstmals konkret für die Arbeit eines Wohlfahrtsverbandes durchgespielt hat. Auch die Autoren dieser Untersuchung kommen zu dem Schluss, dass die Zivis sehr wohl durch Profi-Kräfte ersetzt werden können - unter einer Voraussetzung: Der Staat muss die rund 2,5 Milliarden Mark, die er jährlich für den Zivildienst aufwendet, den Trägern der Sozialdienste zukommen lassen.

In dem Papier werden die wahren, gesamtwirtschaftlichen Kosten einer Zivildienststelle - einschließlich der Steuerausfälle und der Sozialabgaben - auf annähernd 66 000 Mark veranschlagt. Damit lassen sich Profis bezahlen. So wie dies etwa auch in den USA
längst der Fall ist.

Nicht so leicht von der Hand zu weisen ist freilich eine andere Befürchtung: Während viele Zivis sich noch Zeit für ein Gespräch mit den alten Leuten nehmen können, die sie betreuen, befürchten die Caritas oder Arbeiterwohlfahrt, dass hauptamtliche Pfleger viel stärker unter Zeitdruck arbeiten. Ebenso unglücklich sind sie über die Vorstellung, dass ohne Zivildienst künftig weniger junge Leute hautnah mit den sozialen Schattenseiten des Lebens konfrontiert werden, bevor sie ins Berufsleben einsteigen. Ob zum Ausgleich das Soziale Jahr so attraktiv gemacht werden kann, dass diese Folge wenigstens gemildert wird, darf noch bezweifelt werden.

Wünschenswert wäre es.

Schlechtes Gewissen

Gleichwohl, die Wohlfahrtsverbände tun gut daran, sich auf eine Zeit ohne Zivis vorzubereiten. Der bisherige Zustand war verfassungsrechtlich ohnehin bedenklich. Denn Zivildienstleistende sollten nie als Ersatz für reguläre Arbeitskräfte eingesetzt werden.
Genau das aber ist gängige Praxis. Es mag also auch ein wenig das schlechte Gewissen gewesen sein, das lauteres Wehklagen nicht angemessen erscheinen ließ.


Die Weitergabe der Texte ist unter Hinweis auf die Quelle OHNE UNS und gegen Belegexemplar erwünscht.