06.07.99

Pressemitteilung

Amtsgericht Döbeln verurteilt Totalen Kriegsdienstverweigerer Sebastian Eichhorn zu Geldstrafe


DRESDEN, DÖBELN den 06. Juli 1999. In der heute stattgefundenen Hauptverhandlung hat das Amtsgericht Döbeln den Totalen Kriegsdienstverweigerer Sebastian Eichhorn zu einer Geldstrafe von 80 Tagessätzen á DM 10,– verurteilt. Eichhorn hatte nach seiner Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer zunächst einen “Anderen Dienst im Ausland” nach § 14b des Zivildienstgesetzes (ZDG) in einem Heim für geistig Behinderte in Israel geleistet, diesen jedoch nach acht Monaten vorzeitig abgebrochen. Einer daraufhin folgenden Einberufung zur Ableistung eines Zivildienstes leistete Eichhorn aus Gewissensgründen keine
Folge, weshalb sich der nunmehr 26jährige wegen sog. “Dienstflucht” (§ 53 ZDG) vor Gericht verantworten mußte.

In seiner knapp eine Stunde dauernden Einlassung schilderte Eichhorn ausführlich die seiner Totalverweigerung zugrundeliegenden Motive. Zivildienst stelle lediglich “Kriegsdienst
ohne Waffe” dar, da er im Rahmen des Konzeptes der sog. “Gesamtverteidigung”, bei der zivile wie militärische Bereiche eng aufeinander abgestimmt sind, ebenfalls militärisch verplant und damit Teil der Kriegsmaschinerie sei. So können anerkannte Kriegsdienstverweigerer nach § 79 ZDG im Verteidigungsfalle zu unbefristetem Zivildienst herangezogen und zu
kriegsunterstützenden Tätigkeiten, wie z.B. dem Entschärfen von Blindgängern, im Transportwesen oder im Lazarettdienst verpflichtet werden. Da der Zivildienst ebenso wie der Waffendienst bei der Bundeswehr Erfüllung der Wehrpflicht ist, diene er gleichermaßen zur Aufrechterhaltung des Systems der Zwangsrekrutierung. Auch die Behauptung, der Zivildienst sei zumindest sozial sinnvoll, könne einer näheren Betrachtung nicht standhalten, da durch die unausgebildeten und unterbezahlten Arbeitskräfte das Lohnniveau im sozialen Bereich gedrückt, die Pflege verschlechtert und Arbeitsplätze zerstört werden.

Einer im Anschluß an die Prozeßerklärung erfolgten Anregung des Verteidigers, RA Lenz aus Finsterwalde, das Verfahren wegen geringen öffentlichen Interesses an einer strafrechtlichen Verfolgung – ggfls. gegen Auflagen – einzustellen, kam das Gericht nicht nach, da es hierfür “letztlich keine Anhaltspunkte” sah. Im Gegensatz dazu war es jedoch in der Vergangenheit in Fällen Totaler Kriegsdienstverweigerung bereits zu Einstellungen, auch ohne Auflagen, gekommen.

In seinem Plädoyer führte StA Bauer aus, der Angeklagte habe zwar eine “klare Gewissensentscheidung” gegen die Ableistung des Zivildienstes gefällt, dies könne ihn jedoch nicht von einer Strafbarkeit freistellen. Daher stünde lediglich noch die Frage im Raum, “wie der Angeklagte zu bestrafen ist”. Zu Gunsten des Angeklagten spreche seine bisherige Straffreiheit, der Angeklagte sei also “kein Krimineller”. Zudem habe Eichhorn bereits acht
Monate Dienst abgeleistet. Dennoch, so der StA weiter, könne “zur Aufrechterhaltung der Rechtsordnung” die Tat nicht sanktionslos bleiben. Damit beantragte er eine Freiheitsstrafe von drei Monaten, die allerdings in eine Geldstrafe von 90 Tagessätzen á DM 10,– umgewandelt werden könne.

Eichhorns Verteidiger ging in seinem Plädoyer zunächst nochmals auf die Verplanung von Zivildienstleistenden im Kriegsfall ein. Er führte aus, daß auch im Zweiten Weltkrieg die
Zivilbevölkerung maßgeblich an der Führbarkeit der Kriegshandlungen mitgewirkt hatte. Es sei signifikant, wie jeder für sich in Anspruch nehme, “Gott sei Dank nie jemanden getötet
haben zu müssen”. Dieses Verständnis fuße jedoch auf der fälschlichen Vorstellung, daß für das Töten von Menschen nur verantwortlich sei, wer “die Bombe selbst wirft”. Tatsächlich gebe es auch heute – und im Zeitalter der modernen Kriegsführung in immer stärkeren Maße – einen untrennbaren Zusammenhang zwischen ziviler und militärischer Verplanung, wobei die zivile Komponente durch die Institution des Zivildienstes erfüllt wird.

Auf eine jüngere Entscheidung des Landgerichts Potsdam eingehend, führte er aus, daß auch seitens deutscher Gerichte die Allgemeine Wehrpflicht durchaus zur Disposition stehe. Das LG Potsdam hatte Anfang diesen Jahres, sich auf ein Gutachten des Verfassungsrechtlers Dr. Manfred Baldus aus dem Jahre 1995 stützend, ein Verfahren gegen einen anderen Totalverweigerer ausgesetzt, weil unter der veränderten politischen Lage die Allgemeine Wehrpflicht nicht mehr verfassungsgemäß sei, worüber nun das BVerfG im Rahmen einer sog. “Richtervorlage” zu entscheiden hat.

Davon unabhängig könne die Totale Kriegsdienstverweigerung seines Mandanten jedoch auch deshalb nicht bestraft werden, da dieser eine unumstößliche Gewissensentscheidung getroffen habe und eine strafrechtliche Sanktion im hier vorliegenden Fall gegen die im Art. 4 Abs. 1 des Grundgesetzes normierte Freiheit des Gewissens und des weltanschaulichen Bekenntnisses verstoße. Unter Verweis auf in diesem Sinne bereits ergangene Rechtsprechung beantragte er Freispruch.

Nach etwa zehnminütiger Beratungszeit sprach Richterin Weik den Kriegsdienstverweigerer der Dienstflucht für schuldig und erkannte auf eine Geldstrafe von 80 Tagessätzen á DM 10,–. In der mündlichen Urteilsbegründung erkannte die Richterin die Totalverweigerung des Angeklagten zwar als eine “glaubhaft nachvollziehbare Gewissensentscheidung” gegen die Ableistung des Zivildienstes an, da der Zivildienst für Eichhorn letztlich “nichts anderes als Kriegsdienst” sei, sah sich gleichwohl jedoch gezwungen, eine Strafe zu verhängen. Zwar sei die Gewissensfreiheit durch Art. 4 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich geschützt, aber nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG könne dies nicht zum Freispruch führen, sondern habe lediglich im Rahmen der Strafzumessung Beachtung zu finden, indem die Strafe im unteren Bereich des Strafmaßes anzusiedeln sei. Eine, wenn auch geringe, Strafe sei auch unerläßlich, “zumal Eichhorn keine religiösen Gründe anführte, sondern letztendlich politisch
argumentiert” habe.

Die Totalverweigerer-Iniative Dresden erklärte, daß trotz des relativ geringen Strafmaßes in diesem Fall nicht die Tatsache übersehen werden dürfe, daß in der Bundesrepublik Totale
Kriegsdienstverweigerung überhaupt als strafwürdig angesehen werde, zumal die Strafverfolgung von Totalverweigerung durchaus “auch andere Gesichter”, bis hin zu auf empfindliche Haftstrafen erkennenden Urteilen, habe. Diese sich bereits über Jahrzehnte
hinweg erstreckende kontinuierliche Kriminalisierung von Totalverweigerung habe nun auch mit dem grundgesetzwidrigen und Völkerrecht brechenden Angriffskrieg im Rahmen des NATO-Bombardements in Jugoslawien ihr bislang beängstigendstes außenpolitisches Spiegelbild erhalten.

Totalverweigerer -Initiative Dresden
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