16.04.99

Wie ein Totalverweigerer Amberg in den Ausnahmezustand versetzte - Bewacht von viel Polizei wurde einem Dresdener im Amtsgericht nach fünf Monaten U-Haft der Prozeß gemacht


Nach fünfeinhalb Monaten Untersuchungshaft ist in Amberg der Totalverweigerer Jörg Eichler zu neun Monaten Gefängnis auf Bewährung verurteilt worden. Innerhalb und außerhalb des Gerichtssaals spielten sich nach Angaben von Beobachtern "gruselige Szenen" ab.

"So etwas", sagt Rechtsanwalt Günter Werner, "habe ich noch nie erlebt." Etliche Mannschaftswagen, an die 100 Polizisten und "kläffende Kampfhunde" hätten Amberg am Mittwoch in den "Ausnahmezustand" versetzt. Der Prozeß im Amtsgericht habe sich um mehr als eine Stunde verzögert, da alle Besucher durchsucht worden seien. Werner: "Man könnte meinen, da sollte einem brandgefährlichen Verbrecher der Prozeß gemacht werden."

Tatsächlich stand ein junger Dresdener vor Gericht, dessen Verbrechen darin besteht, daß er seine Bundeswehr-Einberufung in die oberpfälzische Kaserne Pfreimd ignorierte. Das war im Juli 1998. Was seit der Verhaftung im November folgte, ist ein Verfahren, das sich nach Ansicht der Totalverweigererinitiative durch "Willkür in allen Instanzen" auszeichnet.

Obwohl sich noch kein Totalverweigerer dem Prozeß entzogen habe, so Werner, sei Eichler "wegen Fluchtgefahr" in U-Haft gesteckt worden. Daß er dort fünfeinhalb Monate saß, "gab es noch nie", sagt Detlev Beutner, Sprecher der Totalverweigererinitiative. Zwei Richter lehnte Eichlers Anwalt wegen Befangenheit ab: Die erste Richterin habe es mit Fristen und Besuchsrechten nicht so genau genommen; der zweite öffnete Verteidigerpost - "irrtümlich", wie er sagt. Bei "Fahnenflucht", so ein Gerichtssprecher zur FR, sei man in Amberg eben "ziemlich streng".

Das bekamen Eichler und Unterstützer zu spüren. Bei einer Kundgebung in einer Prozeßpause seien Polizisten teils rigide gegen Demonstranten vorgegangen, sagt Beutner. Das "starke Aufgebot", so ein Polizeisprecher, sei nötig gewesen, um "Ausschreitungen zu verhindern". Vier "freiheitsentziehende Maßnahmen" habe man durchgeführt - unter anderem, weil "Flugblätter ohne Impressum" verteilt worden waren.

Eisiger Wind wehte Eichler auch von der Anklage entgegen. "Unglaublich aggressiv", so Anwalt Werner, habe der Staatsanwalt den Verweigerer angeherrscht: Dieser müsse wegen der Vorgeschichte des Verfahrens damit rechnen, daß er "hier etwas schärfer angegangen wird"; ein Jahr und drei Monate Haft seien die angemessene Strafe - ohne Bewährung, weil das "kein Mann, kein Kamerad verstehen würde". So, sagt Werner, "stellt man sich einen Militär-Staatsanwalt vor".

Der Richter zeigte sich weniger hart: Er verurteilte Eichler zu neun Monaten auf Bewährung und verwies mehrfach darauf, daß er die Gewissensentscheidung des 23jährigen durchaus akzeptiere. Nicht so die Truppe: Noch vor dem Urteil überreichten zwei Soldaten einen Bescheid der Bundeswehr. Am Montag, 7 Uhr, habe sich Soldat Eichler nun in Pfreimd einzufinden. Andernfalls mache er sich erneut "eigenmächtiger Abwesenheit" schuldig. Soll heißen: Kommt er nicht, drohen neuer Arrest und ein neues Verfahren.

Ein "außerordentlich problematisches" Vorgehen, findet Peter Tobiassen von der Zentralstelle für Recht und Schutz der Kriegsdienstverweigerer: "Die Bundeswehr darf Gewissen nicht brechen. Schon gar nicht, wenn ein Richter die Gewissensentscheidung ausdrücklich anerkannt hat. Man sollte annehmen", so Tobiassen, "daß sich wenigstens staatliche Stellen an das Gesetz halten."

(Frankfurter Rundschau / Jörg Schindler)


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