14.04.99

Bewährung gegen Totalen Kriegsdienstverweigerer
Amtsgericht Amberg verhängt neun Monate Freiheitsstrafe auf Bewährung gegen Totalen Kriegsdienstverweigerer nach über fünfmonatiger U-Haft - Bundeswehr erwartet Dienstantritt am kommenden Montag


Am Mittwoch, dem 14.04.99, wurde der Totale Kriegsdienstverweigerer Jörg Eichler (23) aus Dresden zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt, die zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die Staatsanwaltschaft hatte eine nicht zur Bewährung ausgesetzte Strafe von einem Jahr und drei Monaten gefordert. Der Verhandlung war eine fünfeinhalbmonatige Untersuchungshaft vorausgegangen, der Haftbefehl wurde am Ende der Verhandlung aufgehoben. Die Bundeswehr hat den Dresdner unterdessen aufgefordert, am kommenden Montag den Wehrdienst anzutreten, ansonsten werde ein weiteres Verfahren gegen den Totalverweigerer eingeleitet.

Eichler war zum 01.07.98 zur Bundeswehr nach Pfreimd (Oberpfalz) einberufen worden, dort aber nicht erschienen. Im Rahmen einer Demonstration erschien der Verweigerer am 05.08.98 vor der Pfreimder Kaserne und gab sich auch zu erkennen. Die Bundeswehr verzichtete hierbei jedoch auf eine Festnahme. Am 05.11.98 wurde der Jura-Student in Dresden verhaftet und saß seitdem in Untersuchungshaft.

In der Verhandlung am Mittwoch, die von einem starken Polizeiaufgebot in der gesamten Stadt Amberg und insbesondere am und im Amtsgericht begleitet wurde, und der etwa 60 ZuschauerInnen folgten, erläuterte der Angeklagte zunächst seine Beweggründe. Da der Zivildienst als Teil der sogenannten "Gesamtverteidigung" in die militärischen Konzepte integriert ist, also schlicht Wehrpflichterfüllung darstellt und damit zur Aufrechterhaltung der Zwangsrekrutierung beiträgt, hatte der Dresdner keinen Antrag auf Anerkennung als sogenannter "Kriegsdienstverweigerer" gestellt. Auch die Behauptung, der Zivildienst sei zumindest sozial sinnvoll, könne nicht überzeugen, da durch die unausgebildeten und unterbezahlten Arbeitskräfte das Lohnniveau im sozialen Bereich gedrückt, die Pflege verschlechtert und Arbeitsplätze zerstört werden. Gerade in einer Zeit, in der Deutschland sich an einem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen Jugoslawien beteiligt, sei es notwendig, dieser Entwicklung entgegenzutreten und sich dem militärischen Zugriff umfassend zu verweigern. Zum Ende seiner über einstündigen Einlassung überreichte Eichler eine Strafanzeige wegen der Vorbereitung und Durchführung eines Angriffskrieges (§ 80 StGB) sowie gegen den Generalbundesanwalt Kay Nehm wegen Strafvereitelung im Amt, da dieser sich bisher weigert, auf bereits eingegangene ähnliche Strafanzeigen hin zu ermitteln.

Staatsanwalt Maier lehnte "es entschieden ab", die Strafanzeige auch nur anzunehmen, da er sich nicht an einem "politisch durchsichtigen Theater" beteiligen wolle: "Eine Gerichtsverhandlung ist keine politische Wahlkampfveranstaltung". In seinem Plädoyer führte er - mit zum Teil schneidender Stimme - aus, Eichler habe in seiner Einlassung mit allen Prozeßbeteiligten abgerechnet, "jeder bekommt's". Tatsächlich hatte der Dresdner darauf hingewiesen, daß sowohl das Zustandekommen des Haftbefehls als auch das folgende Verfahren eine ganze Reihe von Unstimmigkeiten und klaren Verfahrensverstößen, die auch Strafanzeigen sowohl gegen einen beteiligten Richter (wegen illegalen Öffnens von Verteidigerpost und illegaler Beschlagnahme und Weitergabe von Privatpost) als auch gegen Staatsanwalt Maier (wegen übler Nachrede) zur Folge hatten, aufgewiesen hatte. Maier erklärte, nach einer solchen Einlassung müsse auch Eichler hinnehmen, daß er "hier etwas schärfer angegangen wird".

Zur Strafbarkeit führte Maier aus, daß eine eventuelle Gewissensentscheidung im vorliegenden Verfahren keine Rolle spielen könne, da Eichler keinen Antrag auf Anerkennung als sogenannter "Kriegsdienstverweigerer" gestellt habe. Dies sei aber zwingende Voraussetzung dafür, das vom Bundesverfassungsgericht aufgestellte "Wohlwollensgebot" gegenüber "Gewissenstätern" in Betracht zu ziehen. Zu Gunsten des Angeklagten könne er höchstens die U-Haft vermerken, die aber auch insoweit offenbar keinen "Strafeindruck" hinterlassen habe. Zu Lasten des Angeklagten sollte gewertet werden, daß Eichler "sich als führende Persönlichkeit" im Bereich der Totalen Kriegsdienstverweigerung "geoutet" habe und daneben auch sonst "als Organisator von Demos und Aufzügen betätigt" habe. Durch die Herausgeberschaft der bundesweiten Zeitschrift zur Totalen Kriegsdienstverweigerung "OHNE UNS" unterstütze der Dresdner darüber hinaus "rechtswidrig strafbares Verhalten anderer Personen". Maier forderte eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten wobei es "kein Mann, kein Kamerad verstehen würde, wenn hier die Chance zur Bewährung eingeräumt würde."

Der Rechtsanwalt Günter Werner aus Bremen entgegnete in seinem Plädoyer, daß eine Gewissensentscheidung sehr wohl zu berücksichtigen sei. Auch das Bundesverfassungsgericht habe ausgeführt, daß eine solche in jedem Strafverfahren Berücksichtigung finden müsse. Insgesamt hatte der Verteidiger durch das vorausgegangene Verfahren und das Auftreten des Staatsanwaltes den Eindruck, "das, was hier stattfindet, ist in letzter Konsequent Militärgerichtsbarkeit." Der Staat "mißbraucht das Strafrecht", um militärpolitische Entscheidungen mit aller Gewalt durchzusetzen. Das Verhalten seines Mandanten sei die "Kehrseite von dem, was zur Zeit deutsche Soldaten in Jugoslawien anrichten". Der Strafantrag des Staatsanwaltes, so Werner, "läßt mich böses ahnen für die Zukunft". Zu dem bisherigen Verfahren gegen Eichler bemerkte er: "Ein Staat, der so mit solchen Leuten umgeht, der muß sich fragen lassen, ob er Rechtsstaat genannt werden darf." Der Verteidiger beantragte Freispruch, da die in Art. 4 Abs. 1 GG garantierte Gewissensfreiheit ansonsten verletzt würde.

Nach etwa achtstündiger Verhandlung verurteilte Richter Bierast den Totalverweigerer zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten. Eichler, so der Richter, habe "ein für allemal eine feststehende Gewissensentscheidung" getroffen, "keinen Kriegsdienst mit und ohne Waffe" zu leisten. Dafür spreche auch "die relativ lange U-Haft", die der Angeklagte "auf sich genommen" habe. Der Dresdner "geht nicht einen bequemen Weg". Die Strafe könne auch zur Bewährung ausgesetzt werden, da die weitere Verweigerung des Dienstes "nur konsequent" sei, dies daher keine negative Sozialprognose begründen könne.

Zwischen dem Ende der Plädoyers und der Verkündung des Urteils war Eichler in die JVA Amberg verbracht worden, wo ihm zwei Soldaten einen Bescheid überreichten, daß die Bundeswehr in Pfreimd den Dienstantritt am kommenden Montag, dem 19.04.99, um 7:00 Uhr erwarte. Anderenfalls, so der vorsorgliche Hinweis, mache sich Eichler erneut wegen eigenmächtiger Abwesenheit strafbar. Die Bundeswehr hatte vor kurzem erst für die Zeit der Abwesenheit vom 01.07.98 bis zum 05.11.98 eine Nachdienverfügung erlassen, so daß Eichler nicht zum Ende des Monats aus der Bundeswehr entlassen wird, sondern bis Anfang September als "Soldat" gilt. Es wird daher in absehbarer Zeit ein weiteres Strafverfahren gegen Eichler eröffnet, welchem allerdings die gleiche "Tat" zugrunde liegen wird, nämlich die einmal getroffene Entscheidung, keinen Kriegsdienst mit und ohne Waffe zu leisten.

Am Rande des Prozesses war es zweimal zu Auseinandersetzungen mit der Polizei gekommen, die über 100 BeamtInnen im Einsatz hatte. Zum einen wurden zwei Demonstranten, die Flugblätter in der Innenstadt verteilt hatten, für zweieinhalb Stunden zur Personalienfeststellung auf das Revier verbracht, zum anderen wurde einer Demonstrantin während einer Kundgebung von zwei als "Autonomen" verkleideten Polizeibeamten ein Film entwendet, da sich hierauf Bilder eben dieser Beamten befunden hätten.

Aktenzeichen: 6 Ds 2 Js 7689/98


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