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08.04.99 PressemitteilungNach fünfeinhalb Monaten Untersuchungshaft erster Prozeß gegen Totalen Kriegsdienstverweigerer am Amtsgericht AmbergAmberg / Dresden / Frankfurt a.M., 08.04.1999. Am Mittwoch, dem 14.04.99, findet um 9:00 Uhr am Amtsgericht Amberg (Saal 1, 1. Stock, Paulanerplatz 4) der erste Strafprozeß wegen Fahnenflucht gegen den Totalen Kriegsdienstverweigerer Jörg Eichler (23) aus Dresden statt. Eichler sitzt dann seit knapp fünfeinhalb Monaten in Untersuchungshaft. Ob die - juristisch schon bisher nicht zu rechtfertigende - Haft nach dem Prozeß zunächst endet, ist nicht abzusehen. Eichler war zum 01.07.98 zur Bundeswehr nach Pfreimd (Oberpfalz) einberufen worden, dort aber nicht erschienen. Der Dresdner lehnt sowohl den Wehrdienst als auch den Zivildienst wegen dessen militärischer Verplanung ab. Im Rahmen einer Demonstration erschien der Verweigerer am 05.08.98 vor der Pfreimder Kaserne und gab sich dort zu erkennen. Die Bundeswehr verzichtete hierbei jedoch auf eine Festnahme. Obwohl sich Eichler nur sechs Tage zuvor an seinem Einberufungsort gestellt hatte, erließ das Amtsgericht Amberg am 11.08.98 Haftbefehl wegen angeblicher "Fluchtgefahr": "Im Hinblick auf die zu erwartende Strafe muß bei vernünftiger Würdigung dieser Sachlage davon ausgegangen werden, daß sich der ledige Angeklagte dem Strafverfahren entziehen werde", so der damalige Haftrichter Schatt. Am 21.09.98 verwarf das Landgericht Amberg ein als Haftbeschwerde gewertetes Schreiben Eichlers, in dem dieser angekündigt hatte, sich dem Verfahren auf jeden Fall stellen zu wollen: "Der Beschuldigte trägt zwar vor, er werde sich einem gegen ihn gerichteten Strafverfahren nicht entziehen, hierbei handelt es sich nach Überzeugung der Kammer jedoch um eine bloße Zweckbehauptung, um die Aufhebung des gegen ihn bereits erlassenen Haftbefehls zu erreichen." Am 05.11.98 griff die Polizei gezielt zu und verhaftete Eichler in einer Telefonzelle. Am 07.12.98, viereinhalb Wochen nach der Festnahme, fand dann die - dem Gesetz nach 'unverzüglich' zu erfolgen habende - Vorführung vor die Ermittlungsrichterin Kelsch statt. Diese erhielt die Haft aufrecht, unterließ aber die Mitteilung über den Haftfortdauerbeschluß an eine Vertrauensperson und verstieß damit gegen § 114b Abs. 1 StPO und Art. 104 Abs. 4 GG. Der weitere Untersuchungsrichter Plößl öffnete im Dezember Verteidigerpost von Eichler, in welcher brisante verfahrensrechtliche Fragen diskutiert wurden. Obendrein veranlaßte Plößl dann auch noch die Weitergabe dieser Post an die Staatsanwaltschaft "zur Stellungnahme u. Aktenvorlage". Am 14.01.99 beschlagnahmte er dann den privaten Brief eines engen Freundes Eichlers, da dieser angeblich "grobe Beleidigungen" enthalte. Wegen des illegalen Öffnens der Verteidigerpost sowie wegen der ohne rechtliche Grundlage erfolgten Weitergabe des privaten Briefes an das Landgericht sind inzwischen zwei Ermittlungsverfahren gegen Richter Plößl eingeleitet worden. Die Haftfortdauer hatte Plößl u.a. mit dem Erhalt von internationaler Solidaritätspost begründet: "Im Rahmen der Briefkontrolle hat sich gezeigt, daß der Angeschuldigte durchaus über Kontakte zu im Ausland wohnenden Sympathisanten verfügt." Nachdem Richter Plößl aufgrund der dargestellten Vorgänge wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt wurde, erklärte sich dieser selbst für befangen. Nunmehr wird Richter Bierast das Verfahren gegen den Totalverweigerer leiten. Ob das Oberlandesgericht Nürnberg bis zum Verhandlungstermin über die weitere Haftbeschwerde Eichlers entschieden hat, ist noch offen. Die Bundeswehr hat inzwischen für die Zeit der Abwesenheit vom 01.07.98 bis zum 05.11.98 eine Nachdienverfügung erlassen, so daß Eichler nicht zum Ende des Monats aus der Bundeswehr entlassen wird, sondern bis Anfang September als "Soldat" gilt - es ist nicht auszuschließen, daß bei einem eventuellen Ende der U-Haft die Bundeswehr dazu übergehen wird, den Totalverweigerer selbst weitere zwei bis drei Monate zu arrestieren. Die Totalverweigerer-Initiative Frankfurt a.M. erklärte, noch nie habe es eine dermaßen lange und von Willkür durchsetzte Zeit der Untersuchungshaft gegen einen Totalverweigerer gegeben. Es sei bemerkenswert, daß "die Amberger Justiz die Gesetze häufig Gesetze sein läßt in einer Zeit, in der zugleich ein völkerrechtswidriger Angriffskrieg der NATO stattfindet". Während im ehemaligen Jugoslawien vor einer Woche Kriegsgerichte eingeführt wurden, um gegen die dortigen Deserteure vorzugehen, die auch zuvor in Deutschland keinerlei Schutz genossen haben und nach Serbien abgeschoben worden sind, geht die bundesdeutsche Justiz mit zunehmender Härte gegen Kriegsdienstgegner im eigenen Land vor: "Die Militarisierung im Inneren läuft auf Hochtouren", so die Totalverweigerer-Initiative. Aktenzeichen: 6 Ds 2 Js 7689/98 Kontakt: Jörg Eichler |
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