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19.02.99 PressemitteilungBerufungsverfahren gegen Volker Wiedersberg am 19.03.99Potsdam. Der Potsdamer Totalverweigerer Volker Wiedersberg ist in Berufung gegangen. Wegen Zivildienstflucht wurde er im Mai 1998 vom Amtsgericht Potsdam zu einer Geldstrafe von 1500 DM) verurteilt. Jetzt wird das Verfahren vor dem Landgericht am 19. März erneut aufgerollt. "Wir kämpfen für einen Freispruch von Volker Wiedersberg und die Abschaffung der verfassungswidrigen Wehrpflicht", so der Verteidiger des Pazifisten, Wolfgang Kaleck (Berlin). "Wir werden den Richter auffordern, die Verfassungsmäßigkeit durch das Bundesverfassungsgericht prüfen zu lassen." Der Rechtsanwalt ist zuversichtlich: "Mehr und mehr Juristen, darunter auch Richter, sind der Auffassung , daß die Wehrpflicht nicht mehr haltbar ist. Es ist nicht ausgeschlossen, daß die Wehrstrukturkommission der neuen Bundesregierung in dieser Frage juristischen Rückenwind aus Karlsruhe bekommt." Natürlich könne der Potsdamer Berufungsrichter den Antrag ablehnen, so Volker Wiedersberg. Für diesen Fall sei Freispruch das Ziel, weil die allgemeine Gewissensfreiheit des Artikels 4 im Grundgesetz eine Bestrafung verbiete. Volker Wiedersberg, 30 Jahre alt, wohnt mit Frau und Kindern in Langerwisch. Der Potsdamer Jurastudent im 6. Semester verweigerte schon zu DDR-Zeiten nicht nur den Dienst an der Waffe, sondern auch als Bausoldat. Seine Totalverweigerung begründet er damit, daß er als Zivildienstleistender verpflichtet ist, im Krieg das eigene Militär zu unterstützen. Kritikern, die meinen, Zivildienst sei doch an sich eine gute Sache, hält er entgegen: "Zivildienst ist unsozial. Zivis sind schlecht ausgebildet und nehmen qualifizierten Arbeitskräften den Job weg." Ließen ihn in der DDR die Armeebehörden noch in Ruhe, so kam nach der Wende bald der Einberufungsbescheid zum Zivildienst beim Grünflächenamt Potsdam. Volker Wiedersberg ging nicht hin. Damit erfüllte er den Straftatbestand der Dienstflucht und wurde vor dem Amtsgericht Potsdam angeklagt. Amtsrichterin Franke erkannte im erstinstanzlichen Urteil eine Gewissensentscheidung für die Totalverweigerung an. Um die Verfassungswidrigkeit der Wehrpflicht zu belegen, hatte der Verteidiger des Angeklagten ein Rechtsgutachten in Auftrag gegeben. Ausgangspunkt darin ist die sicherheitspolitische Lage, die Volker Rühe einmal mit den Worten beschrieb: "Wir sind von Freunden umzingelt." Dieser Lage entsprechend, folgert der Gutachter Manfred Baldus, würde eine Freiwilligenarmee das bleibende Verteidigungsbedürfnis des Staates decken können. Da die Wehrpflicht eine der stärksten denkbaren Eingriffe in die Freiheit der Persönlichkeit durch den Staat ist, sei der Staat verpflichtet, das für den einzelnen mildere Mittel der Freiwilligenarmee zu wählen. Die Aufrechterhaltung der Wehrpflicht verstößt damit gegen das Grundgesetz Deutschlands. Die öffentliche Verhandlung findet statt am 19.03.99, 09:00 Uhr Für 11:30 Uhr ist ein Pressegespräch vor dem Gebäude bzw. im Foyer anberaumt. Kontakt im Fall Volker Wiedersberg: Kampagne gegen Wehrpflicht, Zwangsdienste und Militär Ergänzung von Gerold Hildebrand (ehemals Umwelt-Bibliothek Berlin):"Volker Wiedersberg engagierte sich bereits zu DDR-Zeiten im Freundeskreis Wehrdiensttotalverweigerer und nahm am Treffen in Kirchmöser/Brandenburg im Mai 1989 teil. Nach dem 7. Oktober 1989 war er wegen Organisation einer Demonstration in Potsdam für die Zulassung des NEUEN FORUM mehrere Tage inhaftiert. Das MfS hatte bereits vor seinem 18. Lebensjahr eine Akte gegen ihn angelegt. Zu Wendezeiten engagierte er sich in der Potsdamer Gruppe "Kontakt". Nach der deutschen Vereinigung kam die Einberufung zum Zivildienst, den er verweigerte. "Ich bin der Meinung, daß es überfällig ist, ein Ziel der Bürgerbewegung in der ehemaligen DDR zu verwirklichen: Die Wehrpflicht abzuschaffen. Immer mehr Staaten Europas verabschieden sich von dieser totalitären Praxis des zwanghaften Hineinpressens junger Menschen in die totale Institution Militär. Der Zivildienstzwang ist vor dem Hintergrund anhaltend hoher Arbeitslosenzahlen beschäftigungsfeindlich und volkswirtschaftlich gesehen ressourcenverschwendend. Die gewaltfreie Aktion Volker Wiedersbergs, seine totale Kriegsdienstverweigerung, wird, so hoffe ich, die Problematik wieder stärker ins öffentliche Bewußtsein rücken. Unerträglich finde ich zudem, daß der Dresdener Jurastudent Jörg Eichler (23) - seit nunmehr fast vollen vier Monaten im bayrischen Amberg in U-Haft sitzt, ohne bisher Aussicht auf einen Prozeßtermin zu haben. Eine solch lange Zeitspanne bei gewaltfreiem politischem Engagement, erinnert an DDR-Verhältnisse, als die SED noch die Macht hatte. Eichler war der Einberufung zum 1.7.98 nach Pfreimd/Oberpfalz nicht gefolgt und am 5.11.98 festgenommen worden. Die Dresdener Gruppe Wolfspelz gestaltete am 13. Februar 1982 den ersten größeren Friedensgottesdienst in Dresden - gegen den Willen der Machthaber und gegen kirchliche Bedenken. In dieser Tradition steht auch Jörg Eichler, der mit seinem gewaltfreien Engagement auf einen friedenspolitisch unhaltbaren Zustand hinweisen will." Gerold Hildebrand Kontakt im Falle Jörg Eichlers: TKDV-Initiative Frankfurt/M. |
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