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Frankfurter Rundschau, 06.02.99:Auf "Fahnenflucht" reagiert man in Amberg nun mal "ziemlich streng"Im Fall eines Dresdener Totalverweigerers sollen es die Richter mit dem Gesetz selbst nicht so genau nehmen Von Jörg Schindler (Frankfurt a. M.) Der Totalverweigerer Jörg Eichler sitzt seit drei Monaten "wegen Fluchtgefahr" in Untersuchungshaft - unter zum Teil dubiosen Bedingungen. Die Totalverweigerer-Initiative spricht von "Willkür in allen Instanzen". Sie hat inzwischen Strafanzeige gegen einen Richter gestellt und amnesty international um Hilfe gebeten. Das Gericht in Amberg sieht indes die "Verhältnismäßigkeit" gewahrt. Am 5. November wurde Jörg Eichler in einer Telefonzelle verhaftet. "Bei vernünftiger Würdigung" der Sachlage, so das Amtsgericht Amberg in seinem Haftbefehl, müsse man davon ausgehen, daß sich der 23jährige "dem Strafverfahren entziehen" werde. Eichler hatte im Juli den Einberufungsbescheid in die oberpfälzische Kaserne Pfreimd ignoriert und war statt dessen im August bei einer Demonstration vor den Kasernentoren aufgetaucht. Das, so Detlev Beutner von der Totalverweigerer-Initiative, "haben die in Amberg wohl sehr persönlich genommen". Ein Schreiben Eichlers, in dem er versicherte, sich dem Verfahren auf jeden Fall stellen zu wollen, werteten die Richter als "bloße Zweckbehauptung". Die angebliche Fluchtgefahr begründeten sie zudem damit, daß es mehrfach nicht gelungen sei, Eichlers Aufenthaltsort ausfindig zu machen. "Tatsächlich", so Beutner, "war er ständig sowohl über seine Meldeadresse als auch über seine Anwältin erreichbar." Die Tatsache, daß der Dresdener inzwischen seit drei Monaten inhaftiert ist, ist für Beutner völlig unverständlich. In den vergangenen zehn Jahren seien ihm überhaupt nur drei Fälle von U-Haft in ähnlichen Situationen bekannt geworden - dabei hätten die Betroffenen maximal sechs Wochen im Gefängnis gesessen. Auch Peter Tobiassen, Geschäftsführer der Zentralstelle für Recht und Schutz von Kriegsdienstverweigerern, spricht von einem "einmaligen Fall". Ganz offensichtlich, so Eichlers Anwalt Wilfried Lenz, gehe es den Richtern darum, "ein Exempel zu statuieren". Einen solchen Fall habe er "bisher noch nicht erlebt". Zumal sich auch nach Eichlers Verhaftung die Merkwürdigkeiten häuften: Obwohl laut Gesetz die Vorführung vor den Ermittlungsrichter "unverzüglich" zu erfolgen hat, verstrichen in diesem Fall viereinhalb Wochen. Die zuständige Richterin wurde wegen Befangenheit abgelehnt: Sie soll willkürlich in Besuchsrechte Eichlers eingegriffen und Angehörige gesetzwidrig nicht über die Haftfortdauer informiert haben. Mit dem zweiten Richter hatte Eichler auch wenig Glück: Er begründete, so Beutner, die "Fluchtgefahr" damit, daß Eichler Sympathisantenbriefe aus dem Ausland erhalten habe. Zudem soll er Verteidigerpost geöffnet und an den Staatsanwalt geleitet haben. Nun sieht er sich einer Anzeige wegen Verletzung des Postgeheimnisses gegenüber. Die Empörung kann Gerichtssprecher Ewald Behrschmidt gleichwohl nicht verstehen. Bei "Fahnenflucht" sei man in Amberg nun mal "ziemlich streng". Die Haft für Eichler sei "verhältnismäßig", da er "mit empfindlicher Freiheitsstrafe", bei etwas Pech bis zu fünf Jahre, rechne müsse. Die Verteidigerpost, so Behrschmidt, sei "irrtümlich" geöffnet worden: "Im Drang der Geschäfte" sei dem Richter das "bedauerliche Versehen" unterlaufen. "Abstrus", kommentiert Peter Tobiassen. Die Unerbittlichkeit, mit der hier vorgegangen werde, stehe in keinerlei Verhältnis zum Vorwurf: Eichler habe ja lediglich "nichts getan". Die Amberger Richter, so Tobiassen, "sollte man mal fragen, ob sie nicht genug mit Leuten zu tun haben, die eine tatsächliche Gefahr für die Öffentlichkeit darstellen". |
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