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27.01.99
Verfahrenseinstellung wegen Doppelbestrafung (Pressespiegel)
junge welt, 26.01.99:
Doppelt verurteilt hält besser
Ermittlungen gegen Richterin wegen Rechtsbeugung
Am Montag fand am Amtsgericht Frankfurt am Main die dritte
Hauptverhandlung gegen Torsten Froese statt. Froese verweigert
auch den Zivildienst, weil dieser staatlich verordnete Zwangsarbeit
darstellt und innerhalb der Gesamtverteidigungskonzeption der
BRD im Kriegsfall »unbefristeten« Kriegsdienst ohne
Waffe einschließt.
Nachdem Froese 1993 zu drei Monaten Freiheitsstrafe auf zwei
Jahre Bewährung wegen »Dienstflucht« verurteilt
wurde, sollte es am 23. Juni 1998 zu einem weiteren Prozeß
gegen ihn kommen, da er vom Bundesamt für den Zivildienst
trotz seiner vorherigen strafrechtlichen Verurteilung erneut einen
Einberufungsbefehl erhielt. Gemäß Artikel 103 Abs.
3 Grundgesetz darf jedoch niemand wegen »derselben Tat«
mehrmals verurteilt werden. Zur Auseinandersetzung um dieses Doppelbestrafungsverbot
kam es aber im Sommer 1998 vor dem Amtsgericht Frankfurt/M. gar
nicht, da Froese während der Hauptverhandlung aufgrund eines
rechtswidrigen Haftbefehls festgenommen und für 16 Tage in
der JVA Weiterstadt inhaftiert wurde.
Dies kam dadurch zustande, daß die damals zuständige
Richterin Mickerts am Amtsgericht Frankfurt/M. Froeses Wahlverteidiger
- die keine Rechtsanwälte sind - ihren Zulassungsantrag nicht
stellen ließ und Froese daraufhin einen Befangenheitsantrag
vor dem Gerichtssaal formulieren wollte. Die Richterin unterband
dies allerdings durch den rechtswidrigen Haftbefehl (fälschlicherweise
gemäß Paragraph 230 II Strafprozeßordnung, der
die Vorführung eines nicht erschienenen Angeklagten sichern
soll). Mit Beschluß vom 22.9.98 wurde Richterin Mickerts
»wegen Besorgnis der Befangenheit« abgelehnt. Infolge
der Festnahme am 23.6.98 kam es zur weiteren Auseinandersetzung
zwischen der Strafjustiz und Torsten Froese, gegen den ein Ermittlungsverfahren
wegen »Widerstandes in Tateinheit mit Körperverletzung
sowie falscher Beschuldigung« eingeleitet wurde. Froese
stellte Strafanzeige gegen diverse Justizwachtmeister und Polizisten
wegen Körperverletzung. Das Ermittlungsverfahren gegen die
Beamten wurde mittlerweile vom zuständigen Staatsanwalt am
Landgericht Frankfurt/M., Galm, eingestellt. Der Strafanzeige
Froeses gegen Richterin Mickerts wegen »Rechtsbeugung und
Freiheitsberaubung« wurde erst nach Intervention des hessischen
Justizministeriums nachgegangen. Gegen die Richterin wird derzeit
wieder ermittelt.
Seit dem 5. November 1998 sitzt einer der Verteidiger Froeses,
Jörg Eichler aus Dresden, selbst wegen totaler Kriegsdienstverweigerung
in Untersuchungshaft in der JVA Amberg. Eichler war zum 1.7.1998
zur Bundeswehr nach Pfreimd (Oberpfalz) einberufen worden, dort
aber nicht erschienen. Obwohl keine Gründe vorlagen anzunehmen,
Eichler werde sich dem Strafverfahren nicht stellen, erließ
das Amtsgericht Amberg Haftbefehl, der seit dem 5.11.98 vollstreckt
wird. Der Totalverweigerer Torsten Froese bestritt daher ohne
Verteidiger Eichler die Hauptverhandlung am 25.1.99 mit nur noch
einem Verteidiger.
Mittlerweile hat die Staatsanwaltschaft am Landgericht Amberg
es nach fast drei Monaten endlich geschafft, Anklage gegen Jörg
Eichler zu erheben. Das heißt, daß innerhalb der nächsten
Wochen die Hauptverhandlung gegen Eichler wegen »Fahnenflucht«
am Amtsgericht im bayerischen Amberg stattfinden wird. Das Urteil
gegen Torsten Froese war bei Redaktionsschluß noch nicht
bekannt. (jW)
junge welt, 27.01.99:
Ein Frankfurter Amtsrichter mit Courage
Totalverweigerer trotz politischer Begründung freigesprochen.
Friedensgesellschaft »verhalten optimistisch«
Als der Vorsitzende Richter Rupp im panzerglasbewehrten Sicherheitssaal
des Frankfurter Landgerichts am Montag Abend sein Urteil verkündete,
kam bei dem Angeklagten, seinem Verteidiger und den zahlreichen
jungen Zuhörern Freude auf: Einstellung des Verfahrens wegen
des Verbots der Doppelbestrafung. Das entsprach genau dem Antrag
des Totalverweigerers Torsten Froese und seines Verteidigers Detlev
Beutner. Torsten Froese war 1993 schon einmal zu drei Monaten
Haft auf zwei Jahre Bewährung verurteilt worden, weil er
den Kriegsdienst und den zivilen Ersatzdienst konsequent verweigert
hatte. Auf nachhaltigen Druck des »Bundesamtes für
den Zivildienst« mußte Froese sich dann wegen des
gleichen Deliktes im Sommer 1998 erneut vor Gericht einfinden.
Der Prozeß platzte und fand nunmehr am Montag statt (jW
berichtete). Kernpunkt der Ausführungen des Angeklagten und
seines Rechtsbeistandes war die Frage, ob ein Angeklagter wegen
ein- und desselben Delikts, nämlich der Totalverweigerung,
zweimal angeklagt werden kann. In der gängigen Rechtsprechung
gegen Totalverweigerer wurde das nahezu immer bejaht. Ein weiter
entscheidender Punkt war die Frage der »Gewissensfreiheit«.
Auch hier konnten Froese und sein Rechtsbeistand einen Sieg davontragen.
Sie hatten argumentiert, daß auch »rationale Argumente«,
also das Gebot der Vernunft, einer »Gewissensentscheidung«
nach religiösen oder moralischen Grundsätzen gleichzusetzen
seien. Froese hatte seine »rationalen Argumente« politisch
begründet. Den Kriegsdienst mit der Waffe lehne er schon
deshalb ab, weil die Bundesrepublik als imperialistische Mittelmacht
eine aggressive Politik verfolge, in deren Folge Militäreinsätze
im Ausland zur Regel werden, wie man an der Irak-Politik und dem
Einsatz der Bundeswehr in aller Welt und vor allem auf dem Balkan
klar sehen könne. Die Bundeswehr habe ihren reinen Verteidigungsauftrag
aufgegeben und sich zu einer Interventionsarmee gewandelt. Der
Zivildienst, so Torsten Froese, sei ebenfalls zu verweigern, weil
er im Krisenfall die Aufgabe habe, »die Soldaten wieder
gesund zu pflegen, damit sie weiter morden und vergewaltigen können«.
Der Zivildienst ist von Struktur und Auftrag her ganz darauf ausgerichtet,
in der Etappe zu wirken und den Kriegseinsatz der Soldaten zu
gewährleisten. Zudem wirken die 170.000 Zivis, die vor allem
im Pflege- und Gesundheitsdienst der Republik eingesetzt werden,
als Lohndrücker und sorgen, weil sie so billig sind, für
gewaltige Extraprofite bei den professionellen Pflegeorganisationen.
Der Staatsanwalt hielt die umfangreichen Begründungen des
Angeklagten und seines Rechtsbeistandes allerdings für nicht
stichhaltig und forderte für den 28jährigen Drucker
Froese zehn Monate Haft. Nach einer Stunde Beratung verkündete
Richter Rupp dann sein Urteil. Nicht nur, daß er der Verteidigung
in Sachen Verbot der Doppelbestrafung folgte, Richter Rupp erkannte
auch die »rational begründete Verweigerung des Zivildienstes«
an, die Froese geltend gemacht hatte. Damit hat das Frankfurter
Amtsgericht erstmals die politische Argumentation eines Totalverweigerers
akzeptiert und damit für eine kleine Sensation in der einschlägigen
Rechtsprechung gesorgt. Bei der »Deutschen Friedensgesellschaft/Vereinigte
Kriegsdienstgegner e.V.«, die Torsten Froese während
des Prozesses betreut hat, ist man verhalten optimistisch. »Wir
sind zufrieden mit dem Urteil und mit der Begründung, aber
eine Schwalbe macht noch keinen Sommer.«
Till Meyer
frankfurter allgemeine zeitung, 26.01.99:
Im Zweifel für das Gewissen
Verfahren gegen Wehr- und Zivildienstverweigerer eingestellt
tk. Nach dem Rechtsgrundsatz, der die Doppelbestrafung für
ein und dasselbe Delikt verbietet, hat das Frankfurter Amtsgericht
gestern das Verfahren gegen den 28 Jahre alten Studenten eingestellt,
der zweimal der Einberufung zum Wehrersatzdienst nicht gefolgt
war. Der von den Behörden anerkannte Wehrdienstverweigerer,
der darüber hinaus jede Form des Zivildienstes ablehnt, war
1993, nachdem er der Aufforderung zum Dienstantritt in einem Krankenhaus
nicht nachgekommen war, von einem Gericht in Hanau zu drei Monaten
Bewährungsstrafe verurteilt worden. 1996 sollte er nach dem
Willen des Bundesamts für den Zivildienst bei der Johanniter-Unfallhilfe
antreten, blieb aber wieder fern. Die Staatsanwaltschaft hatte
gestern plädiert, die zweite Weigerung stelle eine neue Tat
dar, die mit zehn Monaten Freiheitsstrafe ohne Bewährung
zu ahnden sei.
Der Student vertritt die Auffassung, daß der Zivildienst
als eine Form der Unterstützung bewaffneter Streitkräfte
gesehen werden kann und im Fall eines Krieges so eingeordnet werden
muß. Ohne das Wort Gewissen in einem ausführlichen
Vortrag über seine Sicht der Dinge zu benutzen, legte der
Angeklagte seine Kritik am Zivildienst und an der Strafverfolgung
von "Totalverweigerern" dar.
Sein Verteidiger erläuterte anhand der juristischen Literatur,
daß die zweite Weigerung des Mandanten, nicht zum Zivildienst
anzutreten, nicht eine neue Tat darstelle, sondern lediglich die
Konsequenz einer einmal getroffenen persönlichen Entscheidung.
Für diese jedoch sei der Angeklagte - wenn auch zu Unrecht
- bereits in Hanau bestraft worden. Ursprünglich war auch
die Frankfurter Staatsanwaltschaft dieser Rechtsauffassung und
hatte eine Anklage gegen den Studenten abgelehnt. Auch die Generalstaatsanwaltschaft
hatte sich dieser Ansicht angeschlossen. Erst auf die Beschwerde
des Bundesamts für den Zivildienst beim Frankfurter Oberlandesgericht
hin wurden die Klagererhebung und der Prozeß erzwungen.
Bei einem ersten Versuch, den Fall zu verhandeln, war es im Sommer
vergangenen Jahres zu einer Schlägerei zwischen dem Angeklagten
und Sicherheitspersonal im Gericht gekommen.
Am Ende der gestrigen Verhandlung sagte Strafrichter Felix
Rupp, er könne nicht ausschließen, daß die Verweigerung
des Angeklagten auf einer Gewissensentscheidung beruhe, auch wenn
der Student dieses Wort in seiner Prozeßerklärung nicht
verwendet habe. Der Richter erwähnte eine Reihe von juristischen
und philosophischen Definitionen des Begriffs "Gewissen",
um letztlich zu verdeutlichen, daß es eine einzige verbindliche
wohl nicht gebe.
Jedenfalls schien dem Richter die vom Oberlandesgericht getroffene
Unterscheidung zwischen politisch-moralischer Überzeugung
als Gegensatz zur strafbefreienden Gewissensentscheidung nicht
zwingend. Im übrigen gelte auch hier, daß Gerichte
im Zweifel zugunsten des Angeklagten zu urteilen hätten und
daher von einer Gewissensentscheidung auszugehen sei.
Als Nebenfolge der Verfahrenseinstellung ordnete der Richter
die Entschädigung des Angeklagten für Strafverfolgungsmaßnahmen
an. Er war nach dem gescheiterten Prozeß im vergangenen
Jahr für 17 Tage in Untersuchungshaft genommen worden.
frankfurter neue presse, 26.01.99:
Totalverweigerer nicht mehr auf "Dienstflucht"
Frankfurt. »Ich rechne fest damit, daß der Staatsanwalt
Berufung einlegen wird«, sagte Torsten Froese gestern nach
der Urteilsverkündung im Frankfurter Amtsgericht. Vorerst
hat er aber die Einstellung des Verfahrens wegen »Dienstflucht«
gegen sich erwirkt. Zum dritten Mal stand der 28jährige vor
Gericht, der sich nicht nur weigert, Wehrdienst abzuleisten, sondern
auch den Zivildienst mehrmals nicht angetreten hatte. In seiner
Urteilsbegründung wies der Richter daraufhin, daß Froese
ja schon 1993 wegen Zivildienstverweigerung mit drei Monaten Haft
auf Bewährung bestraft worden war. Eine Doppelbestrafung
hielt er für rechtlich nicht vertretbar.
Genau dieser Punkt ist seit 1993 die Streitfrage im Fall Froese.
Die bisher am Verfahren beteiligten Parteien waren sich uneinig,
ob die vorranging politischen Gründe des Soziologie-Studenten
eine einmal gefaßte prinzipielle Gewissensentscheidung darstellen.
Das Oberlandesgericht Frankfurt verneinte dies und sah in der
zweiten Anklage keinen Verstoß gegen das im Grundgesetz
verankerte Verbot der Mehrfachbestrafung eines Vergehens.
Froese war nicht immer überzeugter Kriegsgegner: 1989
hatte er sich sogar als »Soldat auf Zeit« bei der
Bundeswehr beworben. Schon wenige Wochen später zog er die
Bewerbung zurück, 1990 ließ er sich als Wehrdienstverweigerer
anerkennen. Nach mehreren legalen Rückstellungen kam 1991
die endgültige Aufforderung, eine Zivildienststelle in Bad
Nauheim anzutreten. Der gelernte Offset-Drucker verweigerte mit
der Begründung, der Zivildienst sei »Teil der militärischen
Infrastruktur der Bundesrepublik«, außerdem seien
Zivildienstleistende »Zwangsarbeiter«.
Im November 1993 kam es dann zum ersten Prozeß, das Amtsgericht
Hanau verhängte drei Monate auf Bewährung. Da dieses
Urteil keine automatische Befreiung von der Wehrpflicht bedeutet,
wurde Froese 1996 erneut zum Antritt des Zivildienstes aufgefordert.
Wieder trat er die Stelle nicht an. Das Bundesamt für Zivildienst
(BAZ) forderte eine Anklage, die die Staatsanwaltschaft mit Hinweis
auf die erste Verurteilung verwarf. Das BAZ erwirkte einen Klageerzwingungsbeschluß,
im Juli 1998 sollte die zweite Verhandlung wegen »Dienstflucht«
eröffnet werden. Doch noch vor dem offiziellen Beginn der
Verhandlung kam es im Amtsgericht zu Tumulten. Nachdem die Vorsitzende
Richterin Froeses zwei Wahlverteidiger abgelehnt hatte, verließen
die drei den Gerichtssaal. »Wir wollten einen Befangenheitsantrag
formulieren«, erinnerte sich Froese gestern.
Nach mehreren Aufforderungen, in den Saal zurückzukehren,
eskalierte die Situation. Polizisten sollten den Angeklagten in
den Saal bringen, es kam zu Schlägereien, ein Zuschauer und
ein Polizist wurden verletzt. Die Richterin verordnete eine Haftstrafe,
Froese saß 16 Tage in der Justizvollzugsanstalt in Weiterstadt
ein. Dafür steht ihm nach dem gestrigen Urteil Haftentschädigung
zu, die anfallenden Prozeßkosten trägt der Staat. (ing)
blöd, 26.01.99:
Kein Soldat, kein Zivi
Verweigerer kam durch
Von DOMINIK KUHN
Gestern Abend sprach ein gütiger Richter des Amtsgerichtes
Frankfurt einen Zivil- und Wehrdienstverweigerer frei. Für
Soziologie-Student Torsten F. (28) hat sich der Marsch durch die
Instanzen gelohnt.
Vorgeschichte: 1989, F. war gerade 18 geworden, meldete er
sich freiwillig zur Marine. Als Zeitsoldat! Nach wenigen Wochen
aber verweigerte er den Wehrdienst. Anerkannt.
Dann verweigerte er auch den Zivildienst (sei zivile Unterstützung
im Krieg), trat auch nie seinen Dienst an, den man ihm zuwies.
Gestern Hauptverhandlung mit der Forderung des Staatsanwaltes
nach 10 Monaten Haft. Höchstmaß sind 5 Jahre.
Schon im letzten Juni war eine Hauptverhandlung - sie endete
im Tumult! F. wurde verhaftet, hatte einem Wachtmeister eine Platzwunde
ins Gesicht gehämmert!
Gestern Sicherheitsvorkehrungen im Saal: Zehn statt zwei Wachtmeister.
Zu Beginn des Prozesses verlas der schlacksige Angeklagte stundenlang
Erklärungen, beschimpfte
Bundesverteidigungsminister Scharping als "BRD-Kriegsminister",
Soldaten würden "morden und vergewaltigen", Zivildienstleistende
seien Zwangsarbeiter, würden ausgebeutet und Arbeitsplätze
vernichten.
Das Urteil: Verfahren eingestellt. Begründung: F. sei
'93 bereits vom Amtsgericht Hanau zu 3 Monaten auf Bewährung
verurteilt worden, weil er eine andere Zivi-Stelle nicht angetreten
hatte. Deshalb könne er, so Richter Rupp, nicht doppelt bestraft
werden.
Das Urteil nahm der Student höhnisch lächelnd entgegen.
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