18.01.99

Totaler Kriegsdienstverweigerer seit zweieinhalb Monaten in Untersuchungshaft - Verteidigerpost geöffnet: Zweiter Richter wegen Befangenheit abgelehnt


Amberg / Dresden / Frankfurt a.M. Der Totale Kriegsdienstverweigerer Jörg Eichler (23) aus Dresden sitzt seit inzwischen zweieinhalb Monaten in Untersuchungshaft, ohne daß ein Ende abzusehen wäre. Während die Staatsanwaltschaft letzte Woche Anklage erhoben hat, wurde von Seiten der Verteidigung schon der zweite Richter, nachdem dieser Verteidigerpost geöffnet und an die Staatsanwaltschaft weitergereicht hatte, wegen Befangenheit abgelehnt.

Eichler war zum 01.07.98 zur Bundeswehr nach Pfreimd (Oberpfalz) einberufen worden, dort aber nicht erschienen. Der Dresdner lehnt sowohl den Wehrdienst als auch den Zivildienst wegen dessen militärischer Verplanung ab. Im Rahmen einer Demonstration erschien der Verweigerer am 05.08.98 vor der Pfreimder Kaserne und gab sich dort zu erkennen. Die Bundeswehr verzichtete hierbei jedoch auf eine Festnahme.

Obwohl sich Eichler nur sechs Tage zuvor an seinem Einberufungsort gestellt hatte, erließ das Amtsgericht Amberg am 11.08.98 Haftbefehl wegen angeblicher "Fluchtgefahr": "Im Hinblick auf die zu erwartende Strafe muß bei vernünftiger Würdigung dieser Sachlage davon ausgegangen werden, daß sich der ledige Angeklagte dem Strafverfahren entziehen werde", so Haftrichter Schatt.

Am 21.09.98 verwarf das Landgericht Amberg ein als Haftbeschwerde gewertetes Schreiben Eichlers, in dem dieser angekündigt hatte, sich dem Verfahren auf jeden Fall stellen zu wollen: "Der Beschuldigte trägt zwar vor, er werde sich einem gegen ihn gerichteten Strafverfahren nicht entziehen, hierbei handelt es sich nach Überzeugung der Kammer jedoch um eine bloße Zweckbehauptung, um die Aufhebung des gegen ihn bereits erlassenen Haftbefehls zu erreichen." Gegen diesen Beschluß wurde am 28.10.98 weitere Haftbeschwerde eingereicht, die zunächst vom Landgericht nicht innerhalb der gesetzlichen Frist weitergeleitet wurde.

Am 05.11.98 griff die Polizei gezielt zu. Eichler wurde in einer Telefonzelle verhaftet und zunächst dem Haftrichter in Dresden vorgeführt, bevor er am 25.11.98 nach der Verschiebung von Dresden nach Amberg dort eintraf.

Einen Monat später hat das OLG Nürnberg die weitere Haftbeschwerde als unzulässig verworfen, da neben dem Antrag auf Vorführung vor die zuständige Ermittlungsrichterin, den Eichler in Dresden gestellt hatte, eine Haftbeschwerde nicht statthaft sei.

Am 07.12.98, viereinhalb Wochen nach der Festnahme in Dresden und zwölf Tage nach dem Eintreffen in Amberg, fand dann die - dem Gesetz nach 'unverzüglich' zu erfolgen habende - Vorführung vor die Ermittlungsrichterin Kelsch statt. Diese erhielt die Haft aufrecht, u.a. mit der mündlichen Begründung, Eichler verfüge keine Meldeadresse. Tatsächlich war der Totalverweigerer jedoch ständig sowohl über seine - existierende - Meldeadresse erreichbar als auch über seine Verteidigerin.

Daraufhin wurde wiederum Beschwerde an das LG Amberg eingelegt. Nachdem jedoch die Staatsanwaltschaft - auf Vorhalte in der Haftbeschwerde, die Untätigkeit der Staatsanwaltschaft sei bereits ausreichend Grund für das Ende der U-Haft - letzte Woche Anklage erhoben hat, wird nun, nachdem dadurch die Zuständigkeit von Ermittlungsrichter Plößl auf nunmehr Strafrichter Plößl (es handelt sich tatsächlich um die gleiche Person) 'gewechselt' hat, die Beschwerde in einen Antrag auf 'Haftprüfungstermin' umgedeutet, bei - Richter Plößl.

Dieser ist bereits in seiner Funktion als Ermittlungsrichter Ersatz für Richterin Kelsch gewesen, welche wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt worden war. Kelsch hatte zum einen willkürlich in das Besuchsrecht Eichlers eingegriffen, zum anderen hatte sie nach dem Vorführtermin am 07.12.98 entgegen Strafprozeßordnung und Grundgesetz eine Information über die Haftfortdauer an Angehörige oder Nahestehende unterlassen.

Plößl wiederum erwies sich als kaum weniger befangen. Er öffnete die Verteidigerpost von Eichler, in welcher brisante verfahrensrechtliche Fragen diskutiert wurden. Obendrein veranlaßte Plößl dann auch noch die Weitergabe dieser Post an die Staatsanwaltschaft "zur Stellungnahme u. Aktenvorlage". Am 14.01.99 beschlagnahmte er dann den privaten Brief eines engen Freundes Eichlers, da dieser angeblich "grobe Beleidigungen" enthalte. An welcher Stelle des siebenseitigen Briefes diese sich befunden haben oder worin diese bestanden haben sollen, teilt der Beschluß jedoch nicht mit.

Wegen dieses Verhaltens des bereits Richterin Kelsch vertretenden Richters Plößl wird nun auch dieser am Dienstag, dem 19.02.99, wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Wegen des Öffnens der Verteidigerpost wird zugleich in den nächsten Tagen Strafanzeige gegen Plößl wegen Verletzung des Postgeheimnisses gestellt werde.
Die Haftfortdauer begründete Plößl derweil damit, daß für die Fluchtgefahr auch die Kontakte zu im Ausland wohnenden Sympathisanten sprächen - dies schlußfolgert der Richter daraus, daß Eichler zum einen Solidaritätspost von einem Kriegsdienstverweigerer in Polen bekommen hat, der von der Situation des Dresdners aus dem Bulletin der "War Resisters International" erfahren hatte, zum anderen von dem sich im Winter in Spanien aufhaltenden deutschen Kirchenkritiker Heinrich Grißhammer, der sich zugleich beim Gericht über die Behandlung des Totalverweigerers beschwert hatte...

Die Totalverweigerer-Initiative Frankfurt/M. erklärte, das vorliegende Verfahren zeichne sich durch "Willkür in allen Instanzen" aus, die inzwischen nicht einmal mehr versuche, "Entscheidungen einen scheinbar rechtmäßigen Anstrich zu geben". Offenbar wolle die bayerische Justiz hier ein "Exempel statuieren, bei dem rechtsstaatliche Fragen schlichtweg als lästig empfunden und beiseite geschoben werden".

Durch diese Vorgänge wird Eichler auch am 25.01.99 nicht den Totalverweigerer Torsten Froese in Frankfurt/M. verteidigen können. Froese wurde bereits einmal für die Verweigerung des Zivildienstes zu drei Monaten Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt, jedoch vom Bundesamt für den Zivildienst erneut einberufen. Am 23.06.98 sollte deshalb das Doppelbestrafungsverfahren gegen Froese vor dem AG Frankfurt stattfinden.

Richterin Mickerts ließ jedoch zwei Freunde Froeses keinen Antrag auf Zulassung als Verteidiger (gem. § 138 Abs. 2 StPO) stellen - unter anderem Jörg Eichler. Als Froese daraufhin einen Befangenheitsantrag vor dem Saal verfassen wollte, ließ die Richterin den Angeklagten verhaften und den Saal räumen, wobei Eichler durch einen Justizwachtmeister auf dem Flur des Gerichts ein Schulterbein angebrochen wurde.

Froese wurde nach 16 Tagen aus der rechtswidrigen Haft entlassen, nachdem das Amtsgericht den Haftbefehl aufgehoben hatte. Nachdem sich auch das hessische Justizministerium in den Fall eingeschaltet hat, ermittelt inzwischen auch die Staatsanwaltschaft gegen Richterin Kelsch wegen Rechtsbeugung. Am kommenden Montag kommt es nun zu der Neuauflage der Hauptverhandlung in dem Doppelbestrafungsverfahren.

Aktenzeichen: 2 Ds 2 Js 7689/98

Kontakt:

Jörg Eichler
z.Z. U-Haft JVA Amberg
c/o AG Amberg
Postfach 11 62
92 201 Amberg


Die Weitergabe der Texte ist unter Hinweis auf die Quelle OHNE UNS und gegen Belegexemplar erwünscht.