11.12.98

Totaler Kriegsdienstverweigerer seit über fünf Wochen in U-Haft - Oberlandesgericht verwirft Haftbeschwerde als unzulässig


Dresden / Frankfurt, 11.12.1998. Der Totale Kriegsdienstverweigerer Jörg Eichler (23) aus Dresden sitzt seit inzwischen über fünf Wochen in Untersuchungshaft, ohne daß ein Ende abzusehen wäre. Während die Staatsanwaltschaft noch immer keine Anklage erhoben hat, hat das Oberlandesgericht Nürnberg nunmehr die weitere Haftbeschwerde des Jura-Studenten als unzulässig verworfen.

Eichler war zum 01.07.98 zur Bundeswehr nach Pfreimd (Oberpfalz) einberufen worden, dort aber nicht erschienen. Der Dresdner lehnt sowohl den Wehrdienst als auch den Zivildienst wegen dessen militärischer Verplanung ab. Im Rahmen einer Demonstration erschien der Verweigerer am 05.08.98 vor der Pfreimder Kaserne und gab sich dort zu erkennen. Die Bundeswehr verzichtete hierbei jedoch auf eine Festnahme.

Obwohl sich Eichler nur sechs Tage zuvor an seinem Einberufungsort gestellt hatte, erließ das Amtsgericht Amberg am 11.08.98 Haftbefehl wegen angeblicher "Fluchtgefahr": "Im Hinblick auf die zu erwartende Strafe muß bei vernünftiger Würdigung dieser Sachlage davon ausgegangen werden, daß sich der ledige Angeklagte dem Strafverfahren entziehen werde", so Haftrichter Schatt.

Da nun auch vermehrt die Polizei an Eichlers Wohnort erschien, setzte sich dieser - ohne Kenntnis des ergangenen Haftbefehls - am 21.08.98 sowohl telefonisch als auch per Fax mit der Staatsanwaltschaft in Verbindung, um klarzustellen, daß für einen eventuell erlassenen oder sich in Vorbereitung befindlichen Haftbefehl kein Raum sei, da er keineswegs die Absicht habe, sich dem Strafverfahren zu entziehen. Im übrigen übersandte der Jura-Student zwei Oberlandesgerichtsentscheidungen, die ausdrücklich betonen, daß der "Flucht"-Begriff der "Fahnenflucht" ein völlig anderer als der der Strafprozeßordnung sei, und deshalb bei einem "Fahnenflüchtigen" keineswegs der Haftgrund der Fluchtgefahr automatisch vorliege.

Am 21.09.98 verwarf dann das Landgericht Amberg das als Haftbeschwerde gewertete Schreiben Eichlers: "Der Beschuldigte trägt zwar vor, er werde sich einem gegen ihn gerichteten Strafverfahren nicht entziehen, hierbei handelt es sich nach Überzeugung der Kammer jedoch um eine bloße Zweckbehauptung, um die Aufhebung des gegen ihn bereits erlassenen Haftbefehls zu erreichen." Gegen diesen Beschluß wurde am 28.10.98 weitere Haftbeschwerde eingereicht, die zunächst vom Landgericht nicht innerhalb der gesetzlichen Frist weitergeleitet wurde.

Doch bevor das Oberlandesgericht Nürnberg die - klar rechtswidrigen - Beschlüsse des Amts- und Landgerichts hätte korrigieren können, griff die Polizei am 05.11.98 gezielt zu. Eichler wurde zunächst dem Haftrichter in Dresden vorgeführt und beantragte dort, nachdem die Haft auf Anordnung der nunmehr zuständigen Haftrichterin Kelsch (AG Amberg) aufrecht erhalten wurde, die Vorführung vor eben jene zuständige Richterin. Anschließend wurde der Dresdner über Chemnitz, Gera, Hof, Bayreuth und Nürnberg in die JVA Amberg verschoben, wo er am 25.11.98 eintraf.

Mindestens bis zum 06.12.98, also über vier Wochen nach der Festnahme in Dresden und zwölf Tage nach dem Eintreffen in Amberg, fand dennoch eine Vorführung nicht statt, obwohl diese dem Gesetz nach 'unverzüglich' zu erfolgen hat. Nach einem Schreiben an die inzwischen erkrankte Verteidigerin sollte am 07.12.98 die Vorführung erfolgen. Bisher war jedoch nicht zu ermitteln, ob dies tatsächlich geschehen ist.

Unterdessen hat das OLG Nürnberg die weitere Haftbeschwerde als unzulässig verworfen, da neben dem Antrag auf Vorführung die Haftbeschwerde nicht statthaft sei. Das OLG beruft sich dabei auf eine einzelne Entscheidung des OLG Stuttgart von 1990, die dermaßen abwegig ist, daß sie in nur einem Kommentar zur Strafprozeßordnung aufgeführt ist, und ansonsten nicht einmal die Idee erwogen wird, daß ein Antrag auf Vorführung (nicht: auf Haftprüfung) eine bereits eingelegte Haftbeschwerde unzulässig werden lasse.

Nunmehr muß nach einer Haftfortdauerentscheidung beim Vorführtermin erneut Beschwerde eingelegt werden, die wiederum das LG Amberg ablehnen wird. Hiergegen kann dann die bereits einmal eingelegte weitere Haftbeschwerde gerichtet werden, über die das OLG Nürnberg nunmehr inhaltlich zu entscheiden hätte. Dieser Vorgang wird jedoch wiederum mehrere Wochen in Anspruch nehmen.

Die Staatsanwaltschaft macht unterdessen durch demonstratives Nichthandeln auf sich aufmerksam. Gruppenleiter Maier nimmt zwar in jeder zur Entscheidung stehenden Frage Stellung gegen den Angeklagten, hat es jedoch nach fünf Wochen U-Haft noch nicht vollbracht, eine Anklage zu formulieren. Schon wegen dieser drastischen Verzögerung müßte der Haftbefehl bereits aufgehoben werden.

Die Totalverweigerer-Initiative Frankfurt/M. erklärte, das vorliegende Verfahren zeichne sich durch "Willkür in allen Instanzen" aus, die "permanent in der Nähe der Rechtsbeugung oder auch darüberhinaus anzusiedeln" sei. Offenbar wolle die bayerische Justiz hier ein "Exempel statuieren, bei dem rechtsstaatliche Fragen schlichtweg als lästig empfunden und beiseite geschoben werden".

KONTAKT:

Jörg Eichler,
z.Z. U-Haft JVA Amberg
c/o Haftrichter
AG Amberg
Postfach 11 62
92 201 Amberg


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