OHNE UNS-Redakteur Jörg Eichler verhaftet


Dresden / Frankfurt, 05.11.1998. Am Donnerstag, dem 05.11.98, wurde der Totale Kriegsdienstverweigerer Jörg Eichler (23) in Dresden um 21:00 Uhr von der Polizei in einer Telefonzelle verhaftet und zunächst in das dortige Polizeipräsidium verbracht. Ihm droht nun mehrwöchige Untersuchungshaft, anschließend ein Strafprozeß und ggf. Arrest bei der Bundeswehr.

Eichler war zum 01.07.98 zur Bundeswehr nach Pfreimd (Oberpfalz) einberufen worden, dort aber nicht erschienen. Der Dresdner lehnt sowohl den Wehrdienst als auch den Zivildienst wegen dessen militärischer Verplanung ab.

Am 01.08.98 'stellte' sich ein Mann in der Pfreimder Kaserne mit dem Einberufungsbescheid von Eichler. Tatsächlich handelte es sich jedoch um Michael Fücker von der Dresdner Totalverweigerer-Initiative. Diese wollte mit der Verwechselungs-Aktion auf das Verhalten der Bundeswehr gegenüber Totalverweigerern hinweisen, welche in der Regel - in einem nicht ansatzweise rechtsstaatlichen Verfahren - zwei Monate in sogenanntem 'Disziplinararrest' gehalten werden, bevor es erstmals zu einer Verhandlung vor einem Strafgericht kommt.

Im Rahmen einer Demonstration stellte sich dann auch der 'echte' Eichler am 05.08.98 vor der Pfreimder Kaserne. Die Bundeswehr, die noch am 20.07., 30.07. und 02.08. per Feldjäger die Wohnung des Gesuchten kontrollieren ließ, verzichtete nun jedoch - offensichtlich in Anbetracht der anwesenden Medien - auf eine Festnahme. Im Anschluß an die Demonstration stellte die Polizei auch die Personalien des Totalverweigerers fest, um den bisherigen Vorwurf der "Fahnenflucht" nun um die Tatbestände "Verstoß gegen das Versammlungsgesetz", "Wehrpflichtentziehung durch Täuschung", "Anstiftung zur mittelbaren Falschbeurkundung" sowie "Anstiftung zum Betrug" zu ergänzen.

Obwohl sich Eichler nur sechs Tage zuvor an seinem Einberufungsort gestellt hatte, erließ das Amtsgericht Amberg am 11.08.98 Haftbefehl wegen angeblicher "Fluchtgefahr": "Im Hinblick auf die zu erwartende Strafe muß bei vernünftiger Würdigung dieser Sachlage davon ausgegangen werden, daß sich der ledige Angeklagte dem Strafverfahren entziehen werde", so Haftrichter Schatt.

Da nun auch vermehrt die Polizei an Eichlers Wohnort erschien, setzte sich dieser - ohne Kenntnis des ergangenen Haftbefehls - am 21.08.98 sowohl telefonisch als auch per Fax mit der Staatsanwaltschaft in Verbindung, um klarzustellen, daß für einen eventuell erlassenen oder sich in Vorbereitung befindlichen Haftbefehl kein Raum sei, da er keineswegs die Absicht habe, sich dem Strafverfahren zu entziehen. Im übrigen übersandte der Jura-Student zwei Oberlandesgerichtsentscheidungen, die ausdrücklich betonen, daß der "Flucht"-Begriff der "Fahnenflucht" ein völlig anderer als der der Strafprozeßordnung sei, und deshalb bei einem "Fahnenflüchtigen" keineswegs der Haftgrund der Fluchtgefahr automatisch vorliege.

Die Staatsanwaltschaft beantragte daraufhin am 27.08.98, die Haftbeschwerde des Beschuldigten zu verwerfen und regte gleichzeitig an, "dem Beschuldigten den zu erlassenden Beschluß gegenwärtig nicht mitzuteilen, um den Haftzweck nicht zu gefährden". Auch eine Stellungnahme der Verteidigerin Barbara Kramer aus Braunschweig vom 24.08.98, die erneut auf den Willen ihres Mandanten, sich dem Strafverfahren zu stellen, und die bisher ergangene Rechtsprechung hierzu verwies, mochte den zuständigen StA-Gruppenleiter Maier offensichtlich nicht zu beeindrucken. Dieser verweigerte vielmehr mit Schreiben vom 15.09.98 die von der Rechtsanwältin seinerzeit gleichzeitig beantragte Akteneinsicht, da "die Ermittlungen noch nicht abgeschlossen" seien. Erst auf Dienstaufsichtsbeschwerde beim Leitenden Oberstaatsanwalt hin wurden die Akten am 21.10.98 übersandt.

In der Zwischenzeit hatte jedoch das Landgericht Amberg am 21.09.98 die Haftbeschwerde dem Antrag der Staatsanwaltschaft entsprechend verworfen: "Der Beschuldigte trägt zwar vor, er werde sich einem gegen ihn gerichteten Strafverfahren nicht entziehen, hierbei handelt es sich nach Überzeugung der Kammer jedoch um eine bloße Zweckbehauptung, um die Aufhebung des gegen ihn bereits erlassenen Haftbefehls zu erreichen." Gegen diesen Beschluß der Richter Müller, Stöber und Stich wurde am 28.10.98 weitere Haftbeschwerde eingereicht, über die nunmehr das Oberlandesgericht Nürnberg zu entscheiden hat.

Doch bevor dieses die - klar rechtswidrigen - Beschlüsse des Amts- und Landgerichts hätte korrigieren können, griff die Polizei am Donnerstagabend gezielt zu. Eichler war um 20:55 Uhr in eine Telefonzelle in unmittelbarer Nähe seines momentanen Aufenthaltsortes gegangen. Weniger als eine Minute später erschienen zwei Polizisten an der Telefonzelle, hielten ihren Dienstausweis gegen die Scheibe, öffneten die Tür und fragten, ob Eichler sich ausweisen könne. Als dieser verneinte, wurde der Totalverweigerer aufgefordert, das Gespräch zu beenden. Anschließend wurde Eichler zum Polizeipräsidium an der Schießgasse gebracht, in dem sich auch eine U-Haft-Abteilung befindet. Vermutlich wird der Dresdner in den nächsten Tagen über verschiedene U-Haft-Anstalten nach Bayern verlegt werden, bis entweder das Oberlandesgericht den Haftbefehl aufhebt oder eine Hauptverhandlung stattfindet.

Die Totalverweigerer-Initiative Frankfurt/M. erklärte, das gesamte bisherige Verfahren habe sich durch Willkür in allen Instanzen ausgezeichnet, die immer dann zu beobachten sei, wenn "aus der Sicht der Staatsorgane rechtsstaatliche Phrasen hinter klaren militärischen Interessen zurückzutreten haben". So sei auch etwa der Antrag der Verteidigerin auf Zulassung zweier weiterer Verteidiger nach zweieinhalb Monaten noch nicht entschieden worden, wodurch gerade in der Situation der Haft die Verteidigungsmöglichkeiten des Beschuldigten weiter reduziert würden. Insgesamt sei zu befürchten, daß die bayerische Justiz Hand in Hand mit der Bundeswehr und der sächsischen Polizei hier ein "Exempel statuieren" will.

Aktenzeichen:

  • 2 Js 7689/98 - Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Amberg;
  • Gs 511/98 - Haftbefehl des Amtsgerichts Amberg;
  • 1 Qs 170/98 - Haftbeschwerde beim Landgericht Amberg.

Kontakte:

  • TKDV-Initiative Frankfurt/M., c/o Detlev Beutner, Hegelstr. 10, 60 316 Frankfurt a.M., Tel./Fax 069-43057771
  • Polizeipräsidium Dresden, Tel. 0351 / 483 - 0;
  • Staatsanwaltschaft Amberg, Gruppenleiter Maier, Tel. 09621 / 370 - 0, Fax 09621 / 12076;
  • Amtsgericht Amberg, Haftrichter Schatt, Tel. 09621 / 305 - 0;
  • Landgericht Amberg, Richter Müller, Stöber, Stich, Tel. 09621 / 370 - 0.


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