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Aus Ausgabe 4/98 (Dezember)Historische Wehrpflicht"Hole die Vergangenheit in die Gegenwart, so wirst du die Gegenwart und die Vergangenheit besser verstehen!". Treu nach diesem Zitat Gotthold Ephraim Lessings habe ich hier einen kurzen Zusammenschnitt über die Begründung und Fortführung der allgemeinen Wehrpflicht von 1793 bis 1819 zusammengestellt. Zum ersten Mal kam die allgemeine Wehrpflicht zu Zeiten der französischen Revolution von 1789 zum tragen. Zwar hatte es auch davor in der Geschichte schon Bürgermilizen gegeben, aber noch nie war die Wehrpflicht zur Mobilisierung solcher Massen und überhaupt zu Angriffszwecken genutzt worden. Der bürgerliche Konvent hatte eine nach alten Muster strukturierte Armee, die Nationalgarde, vor allen als Gegengewicht zu den konterrevolutionären Truppen des Königs geschaffen. Viele der königlichen Truppen liefen zur Nationalgarde über, so daß der Konvent schon über beachtliche Truppen verfügen konnte und man sich gegen den inneren Feind gewappnet wußte. Die beiden reaktionären Staaten Preußen und Österreich jedoch vergaßen durch den bedrohlichen, revolutionären Nachbarstaat, den gesellschaftlichen Umsturz fürchtend, ihre Feindschaft, verbündeten sich und drohten in Frankreich zu intervenieren. Der am 20. April 1792 beginnende Krieg verlief trotz einiger Erfolge der Franzosen bei Valmy und Jemmappes zunächst ungünstig für Frankreich. Anfang 1793 hatte sich die militärische Lage zugespitzt. Die französische Bourgeoisie stand der Wehrpflicht anfänglich skeptisch gegenüber. Sie fürchtete um ihre Machtverhältnisse, die stets von einem stehenden Heer gestützt worden waren (Absolutismus). Angesichts der militärischen Niederlagen und der inneren Konterrevolution wollten diese Leute aber ihren Herrschaftsanspruch und ihre Profitquellen verteidigen und stimmten einer allgemeinen, gleichen Kriegsdienstpflicht zu. So beschloß der Konvent am 23. August 1793 das Dekret über die sogenannte "Levée en masse"- das allgemeine Volksaufgebot in dem es heißt: "Von diesen Augenblick an, bis die Feinde aus dem Gebiet der Republik verjagt sind, unterliegen alle Franzosen der ständigen Pflicht des Heeresdienstes." Nun mußten alle männlichen Franzosen von 18 - 25 Jahren die nicht verheiratet waren Wehrdienst leisten, denn auch das früher durchaus übliche Verfahren (für die, die es sich leisten konnten) einen Stellvertreter zu schicken war abgeschafft wurden. Die Wehrpflicht führte parallel auch zu einer Explosion des Verwaltungsapparates im Meldewesens. Mit der Wehrpflicht kamen eine Reihe ungeahnter taktischer Möglichkeiten. Einmal hatte man viele und junge Soldaten (die Überalterung in der preuß. Armee um die Zeit war sprichwörtlich), es konnte über Jahre hinweg ein riesiges Potential an ausgebildeten Reservisten entstehen und durch den Rückhalt den die Armee in der Bevölkerung hatte, brauchte man keine Magazine und die damit verbundenen Wege mehr anzulegen, sondern konnte die Wehrpflichtigenarmee vom Land versorgen und quartierte sie in Ortschaften ein (Kontributionssystem). Durch die zerrüttete wirtschaftliche Lage in Frankreich wäre die Versorgungslage der Armee auch problematisch gewesen. Napoleon, der 1797 die Stellvertretung wieder einführte, konnte diese Möglichkeiten und einen durch den Patriotismus bedingten offenen Kampfstiel erfolgreich nutzen. Am 5.Februar 1813 führte man auch in Ostpreußen die Wehrpflicht in Form einer Landwehr ein. Die Landwehr sollte vor allem im Verteidigungsfalle zum Zuge kommen. Die meist adligen Offiziere, sprachen sich erst dagegen aus (sie fürchteten eine Volksbewaffnung), nutzten die Landwehr aber schließlich um das stehende Heer zu unterstützen. Doch auch damals stand die Bevölkerung nicht bedingungslos hinter dem Militär. Anläßlich der Vereidigung der Ersatzmannschaften des 1. Breslauer Landwehrregiments kam es am 23. August 1817 zu einem Tumult. Die versammelten Landwehrpflichtigen verweigerten den Eid, zogen vors Rathaus und erklärten, "daß sie sich nicht verbunden glaubten, da sie den Bürger Eid geleistet hätten auch noch einen Militär Eid zu leisten". Die flugs herbeigerufene Bürgerwehr weigerte sich auf ihre Mitbürger zu feuern und es mußten erst reguläre Regimenter geholt werden um die Menge zu zerstreuen. Es sind noch einige Beispiele bekannt in denen Landwehrtruppen,
sich in der Revolution von 1848/49 auf die Seite der Revolutionäre
stellten. Aber auch diese Revolution wurde mit von Landwehrregimentern
niedergeschlagen, obwohl man nie bezweckt hatte die Truppen auch
gegen innere Feinde zu nutzen. Die Nationalsozialisten führten die allgemeine Wehrpflicht, wegen der "Verankerung des Kampfes in der Bevölkerung" und wegen des riesigen Reservepotentials, das man sich vor allen im Sinne eines "Totalen Krieges" nutzbar machen wollte, wieder ein. Adenauer und Heuß schrieben die Wehrpflicht schließlich in der BRD 1956 fest (das war der schwachen Opposition und dem Wunsch der USA nach einer westlichen Macht an der Grenze, in Zeiten des Kalten Krieges zu schulden) und im Osten Deutschlands wurde die NVA nach Angliederung der DDR an den Warschauer Pakt gegründet. Letztendlich kann man sagen, wurde die Wehrpflicht von den jeweils Herrschenden nur benutzt um, ihre Ziele und ihre Macht durchzusetzen. Demokratische Tendenzen bei den Wehrpflichtigen wurden stets unterdrückt und auch heute noch wird mit der Aufrechterhaltung der Wehrpflicht, Stärke und Macht des Staates über dessen Glieder bewiesen. (ms) |
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