Aus Ausgabe 4/98 (Dezember)

Jörg Eichler: Von Zelle zu Zelle


Obwohl anfänglich geschmäht konnte die Bundeswehr ihr Bedürfnis nach Jörg Eichler doch nicht unterdrücken und scheute keine Mühe ihren flüchtigen Panzerschützen ausfindig zu machen. Mit Erfolg - Jörg wurde am 5.11.1998 durch die Polizei in Dresden festgenommen und sitzt derzeit in Untersuchungshaft. Soweit eigentlich nichts besonderes. Aus einer etwas anderen Perspektive wird aber an diesem Fall deutlich, wie rechtsstaatliche Vorsätze hinter klaren militärischen Interessen zurückzutreten haben.

Zur Vorgeschichte: Nachdem die Bundeswehr fast einen Monat genau eine Portion Essen zuviel zubereitet hatte, meldete sich am 1.August 1998 eine Person mit Jörgs Einberufungsbescheid um fortan in der Oberpfalz-Kaserne arglistig Leistungen, sprich Verpflegung und Unterkunft, zu erschleichen (vgl. OU 3-98). So jedenfalls sah es die Bundeswehr.

Mit dem kleinen Verwechslungsspiel wollte die TKDV-Initiative Dresden auf die regelmäßige Praxis der Bundeswehr aufmerksam machen, gegen Totalverweigerer ohne ein auch nur ansatzweise rechtsstaatliches Verfahren zwei Monate Disziplinararrest zu vollstrecken.

Nachdem die Verwechslung einerseits durch intensive Recherchen des MAD, der Kripo und des Einwohnermeldeamtes aber auch durch das Erscheinen des "echten" Jörg Eichlers aufgedeckt wurde, erlahmte der Eifer der Behörden zunächst. Weder die anwesende Polizei noch die herbeigeeilten Feldjäger sahen die Notwendigkeit, ihren vielgesuchten Panzerschützen, der nun schon direkt vor der Kaserne stand, dingfest zu machen. Nur eine Woche später wird jedoch Haftrichter Schatt am Amtsgericht Amberg vom Diensteifer getroffen und erläßt wegen angeblicher "Fluchtgefahr" Haftbefehl: "Im Hinblick auf die zu erwartende Strafe muß bei vernünftiger Würdigung dieser Sachlage davon ausgegangen werden, daß sich der ledige Angeklagte dem Strafverfahren entziehen werde". Das Jörg noch eine Woche vorher freiwillig in die Kaserne gekommen ist, was bestenfalls eine "Flucht nach vorn" darstellt, ist von wenig Interesse.

Ohne Wissen um den erneut aufgeflammten Eifer setzt sich Jörg telefonisch als auch per Fax mit der Staatsanwaltschaft in Verbindung um einerseits klarzustellen, daß er sich dem Strafverfahren nicht entziehen werde. Weiter erläuterte er, daß der "Flucht"-Begriff der "Fahnenflucht" ein völlig anderer ist, als der der Strafprozeßordnung, und deshalb bei einem "Fahnenflüchtigen" keineswegs der Haftgrund "Fluchtgefahr" automatisch vorliege. Selbiges bestätigen auch zwei Oberlandesgerichtsentscheidungen (OLG Hamm, 17.02.1972, AZ: 3Ws 52/72, NJW 1972, 653; OLG Karlsruhe, 08.08.72, AZ: 2Ws 145/72, NJW 1972, 2098). Schließlich wird bei Fahrerflucht auch nicht unweigerlich Haftbefehl erlassen.

Die Staatsanwaltschaft beantragte daraufhin am 27.08.98, die Haftbeschwerde des Beschuldigten zu verwerfen und regte gleichzeitig an, "dem Beschuldigten den zu erlassenden Beschluß gegenwärtig nicht mitzuteilen, um den Haftzweck nicht zu gefährden". Auch eine Stellungnahme der Verteidigerin Barbara Kramer aus Braunschweig vom 24.08.98, die erneut auf den Willen ihres Mandanten, sich dem Strafverfahren zu stellen, und die bisher ergangene Rechtsprechung hierzu verwies, mochte den zuständigen StA-Gruppenleiter Maier nicht beeindrucken. Dieser verweigerte vielmehr mit Schreiben vom 15.09.98 die von der Rechtsanwältin beantragte Akteneinsicht, da "die Ermittlungen noch nicht abgeschlossen" seien.

Erst auf Dienstaufsichtsbeschwerde beim leitenden Oberstaatsanwalt hin wurden die Akten am 21.10.98 übersandt. Das LG Amberg verwarf am 21.09.98 entsprechend dem Antrag der Staatsanwaltschaft die Haftbeschwerde: "Der Beschuldigte trägt zwar vor, er werde sich einem gegen ihn gerichteten Strafverfahren nicht entziehen, hierbei handelt es sich nach Überzeugung der Kammer jedoch um eine bloße Zweckbehauptung, um die Aufhebung des gegen ihn bereits erlassenen Haftbefehls zu erreichen."

So einfach ist das nämlich! Eine weitere, gegen diesen Beschluß eingelegte Haftbeschwerde wird vom OLG Nürnberg zunächst nicht entschieden.

Ein in den Abendstunden des 5.11.98 plötzlich abgeschaltetes Telefon macht für Jörg den Gang zur Telefonzelle erforderlich. Kurze Zeit später erscheinen zwei Polizisten, verlangen mit vorgehaltenem Dienstausweis den Ausweis ihres Gegenübers und verbringen Jörg daraufhin in eine U-Haft-Zelle im Dresdner Polizeipräsidium. Noch am gleichen Abend rappelte sich auch das Telefon in Jörgs Wohnung wieder auf und funktioniert seither wundervoll. Auch die Feldjäger suchen noch 5 Tage später nach ihrem vermißten Waffenbruder, der längst in staatlicher Obhut weilt.

Jörg befindet sich derzeit nach fast 3 Wochen Schubhaft in der Haftanstalt Amberg. Wie es der Zufall so will, ist sein Zellengenosse ebenfalls ein TKDVer - er hat 13! Monate abzusitzen. Ob und wann er an die Bundeswehr überstellt wird ist unklar. Eventuell findet vorher noch eine Hauptverhandlung gegen Jörg statt.

Klar ist aber, daß Jörg nunmehr seit fünf Wochen aufgrund eines rechtswidrigen Haftbefehls festgehalten wird. Die dagegen eingelegte Beschwerde beim OLG Nürnberg wurde schließlich verworfen: Neben einem Antrag auf Vorführung vor die zuständige Haftrichterin Kelch sei eine Haftbeschwerde nicht statthaft. Doch selbst zur Vorführung, die eigentlich unverzüglich zu erfolgen hat, ist es bis jetzt (6.12.) noch nicht gekommen.

Auch Jörgs Wahlverteidiger Detlev Beutner (als Herausgeber!! der OhneUns steht er im "Verdacht, strafbares Handeln zu unterstützen") und Michael Fücker (ist selbst ins Verfahren verwickelt) wurden nach 2 Monaten Bedenkzeit vom Gericht abgelehnt. Der Kontakt zu Jörg gestaltet sich äußerst mühsam, da jegliche Post von der Staatsanwaltschaft Amberg auf Rechtschreibfehler u.ä. überprüft wird. Dies nimmt Gruppenleiter Maier der Staatsanwaltschaft anscheinend so in Beschlag, daß er lediglich Zeit findet, in jeder zur Entscheidung stehenden Frage gegen den Angeklagten Stellung zu nehmen. Jedenfalls ist es ihm nach nunmehr fünf Wochen U-Haft noch nicht gelungen überhaupt eine Anklage zu formulieren. Schon dies ist eigentlich Grund genug den Haftbefehl aufzuheben.

Wie geht es nun weiter? Sollte nach einer Vorführung die Haft fortgesetzt werden kann dagegen erneut Beschwerde eingelegt werden. Diese wird vom AG Amberg mit großer Wahrscheinlichkeit abgelehnt. Gegen diese Ablehnung kann dann die bereits eingelegte Haftbeschwerde erneut gerichtet werden, die vom OLG Nürnberg nunmehr inhaltlich zu entscheiden wäre. Aber bis dahin ist der Weihnachtsmann bestimmt schon bei Schneewitchen... (mf, Deti)

  • 2 Js 7689/98 - Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Amberg
  • Gs 511/98 - Haftbefehl des Amtsgerichts Amberg
  • 1 Qs 170/98 - Haftbeschwerde beim Landgericht Amberg.


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