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Aus Ausgabe 3/98 (Oktober)Erneut Prozeß wegen Mißbrauch von Ausweispapieren gegen Detlev Beutner am AG GifhornIn der letzten Ausgabe berichteten wir über die Austauschaktion der Totalverweigerer-Initiative Dresden. Nun, wir müssen gestehen: Das war alles nur geklaut! Na ja, zumindest war die Idee zu dieser Aktion nicht mehr so ganz neu, wie sie einigen vielleicht erschien; im Jahre 1996 gab es schon einmal den Versuch der Totalverweigerer-Initiative Braunschweig, diese Aktion durchzuführen (vgl. OU 1/97, S. 19). Damals scheiterte jedoch bereits die beabsichtigte Einschleusung. Das darauf folgende Strafverfahren wegen Mißbrauch von Ausweispapieren und falscher Namensangabe gegen Detlev mutierte zum Justizmarathon erster Güte und ist bis heute noch nicht abgeschlossen. Vorgeschichte Detlev Beutner von der Totalverweigerer-Initiative Braunschweig und Herausgeber des UrIS - Urteils- und Informationsservice zur TKDV - hatte sich am 28.5.1996 mit Einberufungsbescheid des Totalverweigerers Heiko Thiele aus Celle in der Hammerstein-Kaserne in Wesendorf gestellt. Ziel der Aktion war es, die Bundeswehr den falschen Totalverweigerer für fünf Tage arrestieren zu lassen, und diesen fingierten Skandal im Rahmen einer Demonstration, unter deren Teilnehmern sich auch Heiko befunden hätte, aufzudecken. Damit sollte die nicht einmal ansatzweise rechtsstaatliche Praxis der Bundeswehr, Totalverweigerer in der Bundeswehr meist bis zu 63 Tagen zu arrestieren, in der Öffentlichkeit in ein kritisches Licht gerückt werden. Eine Festnahme des Austauschlers Detlev scheiterte jedoch am fehlenden Festnahmewillen der Bundeswehr aufgrund der anwesenden Fernsehkamera; Heiko wurde nichtsdestotrotz zweieinhalb Monate später festgenommen und mußte 63 Tage Disziplinarrest absitzen. Die Verwechslung wurde allerdings von der Bundeswehr wenige Tage nach der Aktion aufgrund eines Fotos von Detlev in der Aller-Zeitung bemerkt, woraufhin die Staatsanwaltschaft Hildesheim wegen Mißbrauch von Ausweispapieren (§ 281 StGB) Anklage erhob. Erste Verhandlung am AG Gifhorn Zunächst fand am 29. November 1996 unter Vorsitz des Richters Quoos eine Verhandlung am AG Gifhorn statt, deren Besonderheit darin bestand, daß Detlev als Angeklagter entgegen seinen sonstigen Gewohnheiten sich im Schweigen übte. Der Grund: ihm war die Anklageschrift nicht zugestellt worden, obwohl er dies über einen Monat vor der Hauptverhandlung schriftlich geltend gemacht hatte. Richter Quoos konnte lediglich die Aktennotiz über Absendung eines Briefes mit der Anklageschrift vorweisen, bestritt aber auch die in der StPO (§ 35 Abs. 2 Satz 1) festgelegte Zustellungspflicht, sondern ließ formlose Übersendung genügen. Da der Brief (...) nicht zurückgelangt (ist), sei ...davon auszugehen, daß er die Anklageschrift erhalten hat. Die Hauptverhandlung war auch dementsprechend kurz: eine ganze viertel Stunde. Detlev wurde zu einer Geldbuße in Höhe von 300,- DM wegen falscher Namensangabe verurteilt. Den Tatbestand des Mißbrauchs von Ausweispapieren sah Quoos nicht als gegeben an, da der Einberufungsbescheid kein Ausweispapier darstellt. Erste Revision Detlev legte daraufhin Revision gegen das Urteil ein, da die fehlende Zustellung der Anklageschrift seine Vorbereitung der Verteidigung beschränkte. Eine durch den etwas übereifrigen Amtsanwalt Olzem eingelegte Revision der StA, in der dieser gerne doch Einberufungsbescheide in den Stand von Ausweispapieren gehoben gesehen hätte, wurde von der Generalstaatsanwaltschaft, der das dann wahrscheinlich doch zu peinlich geworden war, zurückgenommen. Die Revision hatte beim OLG Celle Erfolg, womit die Sache zu neuer Verhandlung an das AG zurückverwiesen wurde. Befangenheit Richter Quoos Parallel hierzu war noch ein weiteres Verfahren gegen Detlev am AG Gifhorn anhängig, wegen unerlaubter Abgabe von 0,1g (!) Marihuana Detlev wurde vorgeworfen, Heiko Thiele nach seiner Verhandlung ein Überraschungsei solchen Inhalts gegeben zu haben (vgl. OU 2-3/97, S. 17). Auch hierfür war Ri Quoos zuständig. Allerdings war das Fortführen der Verhandlung trotz Nichtzustellung der Anklageschrift Grund genug für einen erfolgreichen Befangenheitsantrag. Der Richter hatte den Ablehnungsantrag faktisch durch seine dienstliche Äußerung: Eine gewisse Befangenheit gegenüber dem Angeklagten mag bei mir gegeben sein. selbst entschieden. Nun, wenigstens kann ihm an dieser Stelle eine gewisse Ehrlichkeit nicht abgesprochen werden. Zweite Verhandlung am AG Gifhorn Die nun am AG Gifhorn für die Sache zuständige Richterin Ulrich leistete sich gleich bei der Terminierung den Lapsus, die Hauptverhandlung auf Detlevs Geburtstag anzusetzen. Demzufolge wurde aus dem Prozeß am 16. Oktober 1997 auch eher eine Party. Die Verhandlung begann erst mal mit einer Verspätung von eineinhalb Stunden, da Riin Ulrich sich einen schweren Tag beschert hatte: für den Vormittag hatte sie eine Verhandlung mit drei Angeklagten und drei Verteidigern und eine zweite Verhandlung, dessen Angeklagter in Hand- und Fußschellen in Begleitung zweier Justizwachtmeister wieder hinausgeführt wurde, angesetzt. Nach solchem Streß mußte gar die Protokollantin ausgewechselt werden. Nachdem die ZuschauerInnen alle Platz gefunden hatten (und das war gar nicht so einfach; Zeuge Lucka hatte ein Dutzend Rekruten mitgebracht; wahrscheinlich, um ihnen zu zeigen, wie so ein antimilitaristischer Chaot so richtig verknackt wird), verbat sich Riin die auf der Anklagebank plazierten Geburtstagskuchen: Das ist ja hier kein Kaffeekränzchen! Nee, aber Detlevs Geburtstag!, erwiderte eine Zuschauerin. Etwas kleinlaut meinte die Richterin, dies übersehen zu haben. Dennoch bestand sie auf einer kuchenfreien Anklagebank, kommentierte aber bedeutungsschwanger: Geburtstag feiern wir hier anders. Doch noch immer war die Anklagebank in ihren Augen nicht makellos, denn neben Detlev hatte auch Jörg Eichler von der Totalverweigerer-Initiative Dresden Platz genommen. Auf Anfrage nach seinem Begehr stellte dieser dann einen Antrag auf Zulassung als Wahlverteidiger nach § 138 Abs. 2 StPO und machte kurze Ausführungen zu seiner sachlichen Kompetenz. Riin Ulrich überlegte aber nicht lange (dies gilt unter JuristInnen übrigens nicht etwa als Anzeichen fehlender sachlicher Auseinandersetzung, sondern schneller Rechtsfindung, also juristischer Professionalität!), und lehnte den Antrag begründungslos ab. Auch auf Nachfrage unter explizitem Hinweis darauf, daß dies einen die sichere Revision begründenden Umstand darstelle, erfolgte eine Begründung nicht. Dies war zwar reichlich überraschend, lockerte aber dafür die Stimmung zumindest auf der Anklagebank ungemein, da die Verhandlung bereits in den ersten fünf Minuten zum Prozeß auf Probe geworden war. Nachdem sich Jörg ins Publikum begeben hatte, begann Detlev mit seiner Prozeßerklärung, in der er ausführlich auf die Hintergründe der Aktion einging. Zum damaligen Zeitpunkt hatten mehrere Truppendienstgerichte (TDGe) versucht, die in der Rechtsprechung der TDGe seit Jahrzehnten währende Obergrenze von 63 Tagen Arrestvollzug gegen Totalverweigerer zu durchbrechen und auf regelmäßig 84 Tage anzuheben. So wurden im Jahre 1995 in vier Fällen Disziplinararreste in einer Länge von deutlich über 63 Tagen verhängt. Zwei dagegen beim BVerfG eingelegte Verfassungsbeschwerden scheiterten mit Nichtannahmebeschlüssen. Nach Verlesen der Prozeßerklärung wurde der als Zeuge geladene Kompaniefeldwebel Lucka gehört. Dieser gab sich dermaßen der Lächerlichkeit Preis, daß selbst die vom ihm mitgebrachten Rekruten im Publikum ihre Gesichtsmuskeln nicht mehr ganz einwandfrei im Griff hatten. Zunächst schilderte er die Ereignisse vom 28. Mai 1996, als Detlev vor der Kaserne erschienen war, mit unübertrefflicher Dramatik. So hat er dagestanden!, wiederholte er mehrmals mit bebender Stimme und weit nach vorn gestreckten Händen. Außerdem berichtete er, wie Detlev mit den Worten Los, verhaften sie mich, warum nehmen sie mich nicht fest...?! geradezu um seine Verhaftung gebettelt habe. Nach dieser eindrucksvollen Showeinlage, die er im übrigen in jeder bisher dazu stattgefundenen Verhandlung (auch bei Heiko Thieles TKDV-Prozeß) dargeboten hatte, begann die Befragung des Zeugen durch StA und Beschuldigten, in der dann zunächst klargestellt wurde, daß der Zugang zur Kaserne normalerweise nur mit Vorlage des Personalausweises genehmigt wird, hier allerdings nach diesem nicht gefragt wurde. Auf die für Identitätsfeststellungen notwendige gesetzliche Grundlage befragt, übte sich Lucka zunächst einmal in (nicht berechtigter) Aussageverweigerung, da es ihm offensichtlich zuwider war, auf Fragen des Angeklagten antworten zu müssen und suchte Zuflucht bei der Richterin: Muß ich etwa darauf antworten?. Nachdem Riin Ulrich ihn darauf hingewiesen hatte, daß er hierauf schon antworten müsse, bellte er eine Zentrale Dienstvorschrift (ZDV) in den Raum, und zwar so schnell, daß es niemand verstehen sollte (ZDVen werden in Bundeswehrkreisen oftmals als gut gehütete Geheimnisse gehändelt; in der Tat werden sie ja auch kaum der Öffentlichkeit zugänglich gemacht). Die richtige Antwort war das indessen nicht, denn eine Dienstvorschrift ist nun mal keine gesetzliche Regelung. Diese konnte er allerdings (erwartungsgemäß) nicht nennen. Dennoch ließ die Richterin die ZDV genügen. Anschließend sammelte die Richterin im zwei-Minuten-Takt noch drei weitere sichere Revisionsgründe, indem sie Fragen des Angeklagte, die durchaus entscheidungserheblich gewesen wären, nicht zuließ vielleicht auch nur aus Mitleid mit dem Zeugen, der sich sichtlich damit quälte, auf Fragen des Angeklagten zu antworten. Der als Vertreter der StA erschienene Referendar Trott, der schon von Detlevs Einlassung sichtbar beeindruckt ein wenig tiefer in seinen Stuhl gesunken war und im weiteren Verlauf der Verhandlung nur noch dadurch aufgefallen war, daß er deren überraschenden Wendungen mittels hektischem Blättern in der StPO zu folgen suchte, ließ den Anklagepunkt Mißbrauch von Ausweispapieren in seinem Plädoyer sogleich fallen, da sich zweifelsfrei herausgestellt hatte, daß ein Einberufungsbescheid als Ausweisdokument keine Gültigkeit besitzt.Dennoch beantragte er eine Geldbuße von 300,- DM, da er den Tatbestand der falschen Namensangabe (§ 111 OWiG) als verwirklicht ansah. Schließlich habe Detlev Beutner Lucka mit schlüssigem Verhalten Glauben gemacht, Heiko Thiele zu sein. Detlev beantragte Freispruch, da einerseits für § 111 OWiG schlüssiges Verhalten nicht ausreiche, sondern explizite falsche Namensangabe notwendig sei, andererseits Lucka ohne Kenntnis der Rechtsgrundlage ohnehin nicht befugt sei, seine Identität zu überprüfen. Nach halbstündiger Unterbrechung der Verhandlung, in der sich Riin Ulrich mit sich selbst zur Beratung zurückgezogen hatte, oder vielleicht auch nur einen Kaffee trinken gegangen war, fragte sie den sitzen gebliebenen Angeklagten: Herr Beutner, wollen Sie denn nicht aufstehen?. Nein, war die kurze, klare Antwort, die Ulrich nur mit einem Na ja, sie haben heute ja Geburtstag. quittierte und zur Urteilsverkündung überging, die einen Freispruch beinhaltete. Sehr eindringlich wies sie darauf hin, daß die Kosten des Verfahren und die notwendigen Auslagen des Angeklagten von der Staatskasse übernommen werden. In der mündlichen Urteilsbegründung konnte auch sie im Einberufungsbescheid kein Ausweispapier entdecken. Bezüglich der falschen Namensangabe wurde betont, daß schlüssiges Verhalten nicht ausreiche und zudem eine Namensangabe offenbar bewußt vermieden worden sei. Nach dem Ende der Verhandlung sah sich der Vertreter der StA, dem die ihm zugewiesene Aufgabe sichtlich peinlich war, noch veranlaßt, freundlichen Kontakt in Form eines verlockenden Angebots zum Angeklagten aufzunehmen und zum Ausdruck zu bringen, daß ihm an diesem Verfahren überhaupt nicht gelegen war. Jetzt, wo die Verhandlung zu Ende ist, können wir uns ja eigentlich auch duzen oder ...die Sache mal beim Bier besprechen.. Detlev lehnte beides dankend ab. Zweite Revision Riin Ulrich schien nicht nur in der Hauptverhandlung strafprozessual mal so richtig Party gemacht zu haben, sondern das gesamte Verfahren irgendwie nicht so richtig ernst zu nehmen. Fast 14 Wochen und, aufgrund einer diesbezüglich von Detlev eingelegten Dienstaufsichtsbeschwerde, einen wohl gehörigen Rüffel vom Direktor des Amtsgerichts Gifhorn benötigte die Richterin, um das schriftliche Urteil zu den Akten zu bringen. Dann bewies Riin Ulrich zwar, daß sie auch anders kann, denn bereits vier Tage nach Detlevs Beschwerde lag das Urteil als Fax auf seinem Tisch. Da dies allerdings die fünfwöchige Frist zur Absetzung des Urteils um schlappe acht Wochen wenn auch nur knapp verfehlte, war von vornherein klar, daß die StA, die die gegen das Urteil eingelegte Berufung nun daraufhin in eine Revision umgewandelt hatte, am OLG damit ein leichtes Spiel haben würde. So ist der Gang der Hauptverhandlung am OLG Celle am 9. Juni 1998 auch eher uninteressant bis auf die Tatsache, daß die Richter auf Detlevs beständige Weigerung, sich zur Urteilsverkündung zu erheben, weit weniger witzig reagierten, als noch Riin Ulrich am AG Gifhorn. Auch schien hier ein äußerst gut erprobtes Zusammenspiel zwischen dem Gericht und seinen Justizwachtmeistern zu existieren, denn kaum hatten die Worte Der Angeklagte soll aus dem Sitzungssaal entfernt werden! den sie sprechenden Richtermund verlassen, befand sich Detlev in Begleitung zweier besonders netter Exemplare von Wachtmeistern auch schon außerhalb des Saals. Das Urteil des AG wurde also aufgehoben und an einen anderen Strafrichter am AG Gifhorn (wenn das so weitergeht, dürfte es wohl nicht mehr lange dauern, bis die Richterkapazitäten am AG Gifhorn ausgeschöpft sind!) zurückverwiesen. Dritte Verhandlung am AG Gifhorn Nach nunmehr fast zweieinhalb Jahren strafrechtlicher Verfolgung steht die Sache erneut zur - inzwischen fünften - Verhandlung. Grund genug also, dafür zu sorgen, das AG Gifhorn vor Totalverweigerern, AntimilitaristInnen und anderen UnterstützerInnen überlaufen zu lassen und es so auch für das Gericht zu einem unvergeßlichen Ereignis werden zu lassen. (je) Es wird daher herzlich eingeladen zum Prozeß: 17.11.98, 10:00 Uhr Kontakt: Totalverweigerer-Initiative Frankfurt a.M. |
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