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Aus Ausgabe 2/98 (August)Der falsche Mann zur falschen Zeit am richtigen Ortoder: Wenn´s Totalverweigerer zur Bundeswehr zieht Eigentlich sollte ja Jörg Eichler aus Dresden am 1. Juli 1998 in der Kaserne in Pfreimd (Oberpfalz) erscheinen, um seinen Pflichten als "Bürger in Uniform" nachzukommen. Der Totalverweigerer ließ jedoch vergeblich auf sich warten. Stattdessen erschien exakt einen Monat später ein anderer Totalverweigerer und zeigte den Einberufungsbescheid von Jörg vor. Dies genügte der Bundeswehr, um zunächst noch recht freundlich Einlaß zu gewähren. Als dieser jedoch mit der ihm angebotenen Uniform ebenfalls nicht zu tun haben wollte, fand er sich sogleich in der Arrestzelle wieder. Wie üblich also. Diesmal jedoch Pech für die Bundeswehr - sie hatte den falschen... Pfreimd in der Oberpfalz ist dort, wo das tägliche Geschehen in unbekümmerter, kleinbürgerlicher, konservativen Ordnung vor sich hin blubbert. In ganz Pfreimd? - Nein, zwei Totis aus Nürnberg und Dresden und Hund Luise zogen am 1. August vor das Tor der Pfreimder Kaserne, um einen gut durchdachten Plan einzufädeln. Jörg Eichler war zum 1. Juli zum Dienst bei der Bundeswehr
einberufen worden. Genau einen Monat später stellte sich
Jörg in der Kaserne in Pfreimd und wies sich durch seinen
Einberufungsbescheid aus. Einen Ausweis hatte er nicht dabei.
Was die Bundeswehr nicht wußte: Jörg war nicht Jörg,
sondern Mischa. Da wir einen Monat zuspät kamen und uns dies nicht einmal peinlich war, plazierte uns die Wache zunächst ziemlich verunsichert im Wachhaus. Ausgestattet mit russischer Funktechnik und hinter doppelt vergitterten Fenstern erklärte uns Uffz Majewski zunächst, daß solche wie ich "hier mörderisch gefickt werden - besonders in der 4. Kompanie" zu der Jörg einberufen ist. "Gefickt" will heißen man "ist der Arsch", "wandert in den Bau", "wird härter rangenommen" und "runtergemacht". Das Problem ist nur, daß niemand da ist, der hätte entscheiden können, was mit jemanden passiert, der einen Monat zu spät kommt, offensichtlich absichtlich und auch noch angibt, keinen Bock auf Bundeswehr zu haben. Über die russische Funktechnik wird der OvWA Spießmacher - von allen liebevoll einfach "Spieß" genannt - verständigt. Er tourt gerade mit einem Jeep über das Manövergelände. Wir warten und lernen Soldat Naber kennen. Er hat fünf Tage im Arrest abzusitzen, weil er während des Manövers schnell mal zu ´Burger King` gefahren ist. Außerdem wird er entlassen - aus der Traum von der militärischen Karriere. Aber er kennt die Wachen und ist daher nur in der Zelle, wenn die Chefs im Wachhäuschen stehen. Während ich mit Jost über zukünftige Aktionen in der TKDV-Bewegung sinniere, tauschen die Wachen Erfahrungen mit ihren Babe´s aus und geben sich Ratschläge für die beste Anmache. Schließlich steht Spießmacher vor uns und die Wache stramm. Nach kurzer Meldung ist aber auch er ratlos. Das einfachste wäre wohl, wenn ich am Montag noch mal wieder käme, da dann die Verantwortlichen auch anwesend sind. Natürlich wäre alles einfacher gewesen, wenn ich pünktlich gekommen wäre. Außerdem, wenn ich mit der BW nichts zu tun haben möchte, warum bin ich dann überhaupt hier? Schließlich der Versuch, den Bataillionskommandeur privat zu erreichen. Dieser glückt. Ich werde belehrt, daß mein Handeln strafrechtliche Folgen nach sich ziehen wird und bekomme für das Wochenende ein Bett in der Manschaftsunterkunft zugewiesen. Mit meinem Bettzeug und einer Plastiktüte voller Abendessen ziehe ich also auf mein Zimmer. Von Spinden und Tür starren mich die heimlichen Sehnsüchte der starken Truppe an, die, im Gegensatz zur Welt außerhalb der Kaserne, hier keiner Geheimhaltung bedürfen. Nur Soldat Pickenhan sammelt Biereticketten. Ich darf mich bis auf weiteres in und außerhalb der Kaserne frei bewegen - Frühstück 6-7Uhr; Mittag 11-12Uhr, dort gibt es dann auch die Wundertüte mit dem Abendbrot. Toiletten und Duschen sind im Schutzraum, im Keller des Gebäudes. Von fluoreszierenden Leitlinien geführt, vorbei an Absperrventilen für den ABC-Alarm sind in einer Stahlbetonkammer ein paar Klos installiert. Duschen nebenan. Der Sonntag verspricht nicht viel neues - ein Herr Obernsdorfer
teilt mir mit, daß er gegen mich Haftbefehl erlassen hat
und daß er mich Montag früh abholen lassen wird, um
weiteres zu veranlassen. Wenig später sitze ich bei HFw Obernsdorfer der 4. Kompanie. Er versteht die Welt nicht mehr, da ich mit ihm nicht reden will - er wolle doch nur wissen, wo meine Eltern zu erreichen seien. Vielleicht reicht es ja aus, wenn der Papi seinen Sohn mal so richtig zurechtweist... Während wir uns gegenseitig anschweigen, meldet sich die DVG-VK Nürnberg telefonisch zu Wort, um sich nach meinem Befinden zu erkundigen. Obernsdorfer protokolliert sehr exakt. Schließlich gibt Obernsdorfer Entwarnung für die Feldjäger und ich werde ins Zimmer von Hauptmann Willecker, dem Chef der 4. Kompanie gebeten. Freundlich, immer um eine "jugendtypische Wortwahl" bemüht, legt er mir die Machenschaften der bayrischen Justiz im Umgang mit Totalverweigerern dar und gibt mir zu verstehen, daß er aufgrund meines Vorstrafenregisters ohnehin keinen Wert auf meine Anwesenheit in seiner Kompanie lege. "Na prima", denke ich. Während ich relativ erfolglos versuche, das Einmaleins der Totalverweigerung zu erklären, telefoniert Obernsdorfer hinter der Tür mit der Staatsanwaltschaft, um den Haftantrag zurückzunehmen. Ich sei zwar nun anwesend, aber was sie mit mir machen sollen, wissen sie auch nicht so recht. Ich werde wieder zum Freilauf im Kasernengelände entlassen, um Willecker eine Rücksprache mit dem Rechtsberater der Division über das weitere Vorgehen zu ermöglichen. Das anfängliche Zögern weicht aber schnell juristisch gestärkter Entschlossenheit. Noch im Vorzimmer wird mir Befehl erteilt, mich ärztlich untersuchen zu lassen und mich einzukleiden. Beides muß ich natürlich ablehnen. Ich bin ja nicht Jörg! Nach der ersten Aufforderung erfolgt juristisch korrekt die Wiederholung und als Konsequenz dieses Spielchens, über das selbst Hpm Willecker lächeln mußte, die vorläufige Festnahme. Zwei bewaffnete Knaben führen mich zurück ins Wachhaus und schließen mich in der Arrestzelle ein. Natürlich nicht ohne mir vorher meine Jacke abzunehmen, denn schon so manch einer hat sich an einem Gummizug erhängt. So, da bin ich also - hat lange gedauert. Die Zelle, zwei mal drei Meter groß, enthält neben einer Bibel (Hrsg: Katholische Militärseelsorge, mit einer extra "Einleitung für den Soldaten") einen Tisch nebst Stuhl, ein Klo, Wachbecken, eine hochgeklappte Pritsche und diverses Ungeziefer, was sich an den Wänden tummelt. Das Oberlicht vermittelt einen gewissen Eindruck von der Tageszeit, die auf einmal nur recht widerwillig weiterschreitet. Nach dem Mittagessen bekomme ich schon die erste Post, wobei sich die Wache durch möglichst lautes öffnen der Tür Mühe gibt, mich besonders zu erschrecken und beim Verschließen äußerste Sorgfalt walten läßt - Schnappschloß, zwei Riegel und zusätzlich zwei Vorhängeschlösser. Am Nachmittag werde ich noch zweimal verhört, wobei häufige, stets von einem Lächeln bekleidete Frage nach meiner Identität und der Hinweis auf einen eventuell notwendigen Psychologen darauf hindeutet, daß unser kleiner Austausch bekannt geworden ist, was aber nur in einen juristisch ausgepfeilteren Umgang mit mir zur Folge hatte. Schließlich hatte man inzwischen die Kripo, den MAD und das Einwohnermeldeamt in Dresden mit dieser Angelegenheit bemüht. Mein Spint wird aufwendig versiegelt und ich wandere zurück in meine Arrestzelle. Gegen 22 Uhr bemüht sich die Wache, mit einem Taschenmesser den Riegel an meiner Pritsche zu entfernen, da leider keine Schlüssel mehr zufinden sind. Der Dienstag ist so lang wie 673 Seiten in Tolstois "Krieg und Frieden" zuzüglich dem Johannes-Evangelium. Am Abend endet die vorläufige Festnahme - eine Entscheidung des Truppendienstgerichtes über den inzwischen beantragten Arrest steht noch aus - und ich kann, mit der Auflage zum Zapfenstreich um 22 Uhr in meinem Bett in der Mannschaftsunterkunft die Nachtruhe zu verrichten, die Kaserne verlassen. Ich nutze die Gelegenheit und fahre lieber nach Nürnberg um am nächsten Tag mit vielen Menschen zurückzukommen. Am Mittwoch Mittag treffen sich ca. 20 Menschen vor dem Bahnhof in Pfreimd. Wie wir später aus der Presse erfahren, war das ein Resultat einer "Internetmoblisierung". Nachdem wir mit unseren Autos noch bis ins Stadtzentrum vorgerückt sind, bildet sich ein kleiner Demonstrationszug bis vor das Kasernentor, wo wir mehrere Polizisten treffen, die einen Versammlungsleiter suchen. Während wir so auf der Wiese lagern, teilt uns der Einsatzleiter mit, daß er uns, sofern wir uns friedlich verhalten, vorerst gewähren läßt - bis er Verstärkung bekommt. Die Bundeswehr findet sich nach Absprache mit ihren Rechtsberatern zu einem Gespräch mit uns bereit. Konsequent spricht der Kasernenchef Major Schober nur mit dem "falschen Jörg", obwohl der richtige mit gepacktem Rucksack gleich daneben steht. Schließlich gibt sich Jörg zu erkennen, was Schober nur zu einem Lächeln veranlaßt, was besagen will: "Haben wir ohnehin schon gewußt". Nachdem Jörg nun nur noch einen Meter von der Kaserne entfernt ist, und seinen Vorgesetzten kennengelernt hat, gibt es für uns eigentlich keinen Grund mehr, noch länger zu verweilen. Wir teilen dies der BW mit, die es betont gelassen zur Kenntnis nimmt und uns noch kurz über den weiteren Verlauf aufklärt. Zu einer Festnahme kommt es aufgrund der anwesenden Medien nicht. In der Zwischenzeit beschäftigte sich die Polizei damit, unsere Autos mit Strafzetteln zu versehen und lieferte ein bühnenreifes Versteckspiel - wahrscheinlich um unseren anschließenden Kaffeebesuch nicht unnötig zu stören. Als wir viel gutes Eis gegessen hatten wollte die Polizei doch noch Jörgs Personalausweis sehen - nur zur Sicherheit und wegen der nicht angemeldeten Demonstration. Die Aktion hat sicherlich eine gewisse Aufmerksamkeit auf die Praxis der Bundeswehr gelenkt, Totalverweigerer in der Regel drei mal 21 Tage zu arrestieren, bevor ihnen Dienstverbot erteilt wird. Auch sieht (hört) die Bundeswehr schon Gespenster und läßt die Kripo Dresden die Identität von Reportern überprüfen, die sich in der Pressestelle über die Angelegenheit informieren wollten. Leider wird in den Medien diese, selbst für offizielles Demokratieverständnis, fragliche Praxis der Bundeswehr kaum reflektiert. Indem die BW Totalverweigerer durch einen Disziplinararrest für ihre Gehorsamsverweigerung bestraft, unterläuft sie den Grundsatz der Gewaltenteilung. Eine solche Disziplinarmaßnahmeist schon deshalb nicht zulässig, da nicht davon ausgegangen werden kann, daß der Totalverweigerer von seiner Entscheidung abweicht und doch in den Panzer einsteigt. Dennoch scheitern jegliche Beschwerden gegen den Arrest, da die Beschwerde von zwei Soldaten und dem Richter bearbeitet wird, der dem Arrest vorher zugestimmt hat. Außerdem werden Arreste grundsätzlich sofort vollzogen und eine Beschwerde braucht viel Zeit... Die letzte Verfassungsbeschwerde gegen diese Praxis der BW wurde am 14.6.1996, wie gewöhnlich bei TKDV-Sachen, durch das BVerfG nicht zur Entscheidung angenommen. Da sich Jörg vor der Kaserne eingefunden hatte und die
Möglichkeit einer Festnahme durch die anwesende Polizei bzw.
durch die Feldjäger bestand, wäre ein weiterer Haftbefehl
zumindest juristisch nicht zulässig. Demgemäß
werden die Feldjäger erneut ausrücken, um Jörg
im fernen Dresden zu suchen, denn nach drei Tagen Abwesenheit
ist der Tatbestand der Fahnenflucht wieder erfüllt. Bleibt
abzuwarten, wann die Feldjäger wieder bei Jörg auftauchen
oder ob sie vielleicht das Interesse an Jörg verloren haben...
(Mischa) |
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