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Aus Ausgabe 2-3/97 (September)Erneut Haftstrafe ohne Bewährung in Berlin
Am 5.3.97 fand vor dem Landgericht Berlin die Berufungsverhandlung über das im Mai ´96 vom Amtsgericht Moabit gefällte Urteil (siehe OU 1/97) gegen Hans-Caspar Graf von Bothmer statt. Die Berufung wurde verworfen und das Amtsgerichtsurteil (6 Monate ohne Bewährung) bestätigt. Gegen dieses harte Urteil hatten Caspar und sein Anwalt Wolfgang Kaleck Revision eingelegt. Diese wurde inzwischen abgelehnt und so wird in Berlin wahrscheinlich erneut eine Haftstrafe ohne Bewährung rechtskräftig. (Red.) Der Prozeß vor dem LG wurde von ca. 25 FreundInnen beobachtet, und die Stimmung war angesichts der Urteilshärte vom AG Moabit gedrückt. Der Verlauf glich dem, was mensch von anderen Totalverweigererprozessen gewohnt ist, eines fiel jedoch auf: Richter Groß wollte von Caspar einige persönliche Dinge zur seiner Kindheit und Jugend wissen und fragte ihn, was er sich von einer Berufung verspräche. Nachdem Caspar erklärte, daß er sich zu Unrecht und zu hoch bestraft fühle, setzte Richter Groß mit der Frage nach, ob er sich schon mal irgendwie engagiert habe. Caspar erklärte, das er sich mehrere Jahre an einen Nordirlandprojekt beteiligt habe. Er sei darauf schon im ersten Prozeß eingegangen und wolle dies auch am heutigen Tage wieder tun. Er habe dort mit jugendlichen Nordiren der verfeindeten Lager gearbeitet. Zudem sei seine Berufswahl (Caspar studiert Medizin) ein Beweis dafür, daß er sich nicht der Gesellschaft verweigern wolle, sondern nur dem staatlichen Zwang zu sozialen Diensten in unqualifizierter Form. Anschließend verlas Caspar eine sechsseitige Erklärung, mit der er schilderte, warum er nicht nur den Kriegsdienst mit, sondern auch den ohne Waffe verweigert habe. Er machte deutlich, daß der Zivildienst durch Einbindung in das Gesamtverteidigungskonzept weder zivil sei, noch durch Vernichtung qualifizierter Arbeitsplätze sozial. Die Arbeitsplatzneutralität, die der Zivildienst haben solle, sei schon lange nicht mehr gegeben. Staatsanwalt Wuttke gab sich, wie schon im ersten Prozeß, sichtlich große Mühe nicht zuzuhören. Eine gewisse Art von Abwesenheit war ebenfalls bei Richter Groß zu erkennen. Wie gesagt: nichts besonderes in Berlin. Auch des Staatsanwalts Frage, ob Caspar denn noch mal den Zivildienst verweigern würde - was er bejahte - gehört zu den Standards und war auch schon der Höhepunkt der Staatsanwaltschaft. Nachdem Anwalt Wolfgang Kaleck in seinem Plädoyer noch mal deutlich machte, daß Caspar mit seiner Entscheidung, den Zivildienst nicht anzutreten, eine einmalige Gewissensentscheidung getroffen habe. Da das Gewissen durch das Grundgesetz geschützt sei, müsse das Gericht Caspar freisprechen. Um seine Ansicht zu untermauern, stellte Kaleck drei Hilfsbeweisanträge. Einer sollte belegen, daß Caspar nicht mehr einberufen werden könne, da Caspar gerade ein Ausmusterungsverfahren eingeleitet habe. Staatsanwalt Wuttke erkannte in Caspars Verhalten nur dessen Hartnäckigkeit und Ablehnung gegen den Staat aber keine Gewissensentscheidung. Zudem war er der Meinung, daß sechs Monate ohne Bewährung doch sehr mild sei, denn es handele sich doch nur um zehn Prozent der möglichen Strafe von fünf Jahren. Nachdem sich das Gericht eine Dreiviertelstunde zur Beratung zurückgezogen hatte, wurde die Beweisaufnahme noch mal aufgenommen. Richter Groß war jetzt ganz begierig darauf zu wissen, warum Caspar sich denn, wenn er doch totalverweigere, noch ausmustern lassen wolle und wie denn das Verfahren dazu sei. Caspar erklärte, daß seine Gesundheit es nicht zulasse, den Zivildienst zu leisten und sich die Tauglichkeit für den Zivildienst an der militärischen Verwendungstauglichkeit orientiere. Richter Groß unterstellte daraufhin, daß Caspar dann ja auch später nicht als Arzt arbeiten könne. Caspar verwies darauf, daß er sich ja seine Arbeitsweise und den Arbeitsplatz aussuchen könne. Anschließend zog sich das Gericht abermals zur Beratung zurück, diesmal nur für eine Viertelstunde. Unterdessen befürchteten die Zuschauer schon, daß das Gericht kein milderes Urteil fällen würde. Dies sollte sich leider bestätigen. Das Gericht ließ sich arroganterweise viel Zeit, den Gerichtssaal wieder zu betreten, obwohl die Zuschauer schon lange wieder im Saal waren. Dann kam es hammerhart. Richter Groß verlas das Urteil: sechs Monat ohne Bewährung. In seiner mündlichen Begründung erklärte er, "daß doch jeder junge Mensch etwas für den Staat machen möchte." Auch ließ Groß sich zu der Bemerkung hinreißen, daß "der Zivildienst ja extra für diejenigen eingerichtet wurde, die sich um die Wehrpflicht drücken wollen." Bei Caspar könne weder von einer politischen noch irgendeiner anderen Form von Gewissensentscheidung die Rede sein. Seiner Meinung nach könne der gesetzestreue Bürger nicht nachvollziehen, warum der eine dienen müsse und der andere nicht. Völlig absurd wurde es, als Groß erklärte, die Wehrpflicht sei einfach notwendig, da eine Berufsarmee einen Staat im Staate bilden würde. Er schloß sich der Meinung des Staatsanwaltes an: sechs Monate ohne Bewährung wäre ja doch im Vergleich zur angedrohten Strafhöhe eher mild. Richter Groß würde Andersdenkende in Deutschland nicht zulassen und Caspar deshalb verurteilen. Zu dieser Bemerkung ließ sich ein Zuschauer angesichts der Ausführungen des Richters verleiten. Der Zwischenrufer wurde des Saales verwiesen. Groß versuchte zu belehren: er würde kein anderes Land finden, das seine Bürger so gut behandeln würde wie Deutschland. Und: "Dann verschwinden sie doch aus Deutschland!" Nach weiteren Zwischenrufen aus den Publikum brach Richter Groß seine mündliche Begründung ab und ließ den Saal räumen. Wieder hat ein Berliner Gericht gezeigt, daß es nicht in der Lage oder willens ist, sich Totalverweigerern anzunähern und ihre Beweggründe nachzuvollziehen. Wie sonst ist es zu erklären, daß Staatsanwaltschaft und Gericht keine Gewissensentscheidung erkennen, in ihren Strafanträgen und Urteilen Argumente aus den siebziger Jahren verwenden, und - obwohl es in Berlin die meisten Prozesse zu diesen Thema gibt - keine Ahnung vom Zivildienst und dessen militärischer Einbindung in das Gesamtverteidigungskonzept haben? Gerichte müssen mit dem Angeklagten ja nicht einer Meinung sein. Trotzdem: wenn es für Richter nur Staat und keine Gesellschaft gibt und dann ein Urteil "Im Namen des Volkes" gesprochen wird, verkennt das Gericht einfach gesellschaftliche Entwicklungen und Meinungen. Weder werden Zivildienstleistende heute noch als Drückeberger bezeichnet, noch haben Menschen Schwierigkeiten, Totalverweigerer straffrei ausgehen zu lassen. Auch sollte ein Richter in der Lage sein, die Bundesrepublik Deutschland von der Weimarer Republik zu unterscheiden. Nicht so im preussischen Berlin. Fazit: Nix neues und das, wo doch die werte Justiz ein paar Kilometer weiter in Potsdam mit ihren Verfahrenseinstellungen so viel weiter zu sein scheint... Nach der Ablehnung der Revision bereiten Detlev Beutner von der Totalverweigerer-Initiative Braunschweig und Verteidiger Wolfgang Kaleck eine Verfassungsbeschwerde vor. |
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