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Aus Ausgabe 2-3/97 (September)Las Solution, INSUMISION!
Vom 26.4.-9.5.97 war die baskische Punk-Band MÜNSTERLAND in Deutschland auf Tour. Die Truppe besuchte an ihrem ersten Tag das Bundestreffen der TKDVer (siehe TV-Intern) und wurde als Totalverweigerer-Punk-Band angekündigt. Die im folgenden Artikel eingangs erwähnten Fakten stammen aus dem Vortrag der Band beim BuTre. Vor dem Konzert in Berlin am 29.4.97 fand das darauffolgende Interview zur Situation der Totalverweigerer (Insumisus) statt. Mit MÜNSTERLAND unterwegs war Jon Ander, der in Bilbao Männer zur Totalverweigerung berät und dolmetschte. (Red.) In Spanien haben junge Männer nur eine legale Möglichkeit, dem Kriegsdienst mit der Waffe zu entgehen. Es gibt ein Äquivalent zum deutschen Zivildienst, das 13 Monate Dienst im Sozialbereich umfaßt. Wie in Deutschland auch, ist der Zivildienst länger als der bewaffnete Dienst, der nur 9 Monate dauert. Auch in Spanien wird ein Antrag gestellt, um Zivildienst leisten zu können. Politische Begründungen sind dabei nicht ausreichend begründet werden muß religiös oder moralisch. Die illegale Variante der konsequenten Kriegsdienstverweigerung nennt sich Insumision. Totale Kriegsdienstverweigerer in Spanien sind meist politisch motiviert und scheinen wie auch die Zivildienstleistenden für den spanischen Staat, ein echtes Problem zu sein. Jährlich gibt es in Spanien etwa 160.000 Zivildienstanwärter und etwa 15.000 (!) Totalverweigerer. Insgesamt macht dies ca. 45% der wehrpflichtigen jungen Männer aus. Diese Fakten beschleunigen die Planungen zur Umgestaltung der spanischen Armee in eine Berufsarmee. Einberufen werden kann bis zum 30. Lebensjahr. Bei der Durchführung der Insumision (Totalverweigerung) gibt es eine relativ verbreitete Strategie, bei der sich drei Personen wegen Totalverweigerung selbst anzeigen. Totalverweigerer beim Militär werden vor zivile Gerichte gestellt. Militärpolizei (Feldjäger) werden in Spanien nur bei Deserteuren eingesetzt, und Soldat kann nur sein, wer einen Eid geleistet hat. Insumision verjährt im spanischen Strafrecht nicht. 1996 gab es eine Strafrechtsreform bezüglich Totaler Kriegsdienstverweigerung. So drohten bisher zwischen 2 Monaten und 6 Jahren Knast. Inzwischen wurden die Knaststrafen wegen der Öffentlichkeitswirkung abgeschafft, da Mütter, Väter und andere Teile der Bevölkerung zu den Knästen kamen und mit der Verurteilung das Gegenteil der erhofften Abschreckung erreicht wurde. TKDVer haben sich i.d.R. nicht den Knaststrafen entzogen, eben um die Aufmerksamkeit zu erzielen. Statt abzusitzender Knaststrafen werden inzwischen Bewährungsstrafen verhängt und dem Totalverweigerer für 10-14 Jahre öffentliche Hilfen gestrichen (z.B. BAföG o.ä.) und die Möglichkeit genommen, im öffentlichen Dienst zu arbeiten. Der Staat hat die Belastung durch Insumisus auf Städte und Gemeinden abgeschoben, da die Verwaltung aufwendig ist. Jeder Bewerber auf eine öffentliche Stelle muß schließlich erstmal auf eine Totalverweigerung abgecheckt werden. So weigern sich denn auch einige Städte und Gemeinden, die Strafrechtsreform umzusetzen und haben sich selbst zu Insumisus erklärt. Interview mit MÜNSTERLANDOU: Stellt euch doch mal kurz vor. Riosa: Wir sind Igor, der Bassist, Asier, der Gitarrist, Gotzon, der Schlagzeuger und Riosa, der Sänger. Wir sind MÜNSTERLAND und kommen aus Bermeo, einer kleinen Stadt bei Bilbao. Wir haben uns 1992 als MÜNSTERLAND gegründet. Vorher hießen wir "Capital Radio", was der Name eines Stückes von CLASH ist. Wir haben damals puren Rock n Roll gemacht, und geprobt haben wir bei meiner Oma. Die Nachbarn haben sich sehr beschwert. OU: Wie seid ihr dann zu Münsterland geworden? Riosa: Der Schlagzeuger ging. Dann kam Gotzon. Wir sind dann vom Proberaum meiner Oma in einen städtischen Übungsraum gewechselt, haben zwischendurch noch Besetzungswechsel gehabt, und von Anfang 92 an sind jetzt noch Gotzon der Schlagzeuger und ich dabei. OU: Im Vorfeld der Tour werdet ihr als Totalverweigerer-Punk-Band angekündigt. Seid ihr alle Totalverweigerer, und was bedeutet das für euch? Münsterland: Nein, kein einziger von uns ist Totalverweigerer. Igor: Totalverweigerung bedeutet für mich, gegen etwas zu sein, was mein Gewissen nicht zuläßt. Asier: Für mich gilt das Gleiche, wobei ich sagen muß, daß ich Militärdienst geleistet habe. Aber ich habe den Militärdienst beim Roten Kreuz gemacht. Zu vergleichen ist das mit der Feuerwehr oder dem Technischen Hilfswerk. Ich hatte eine Woche Dienst und eine Woche frei, über ein Jahr. Bilbao ist eine Fischerstadt, und der Dienst bestand darin, Fischerboote, die in Seenot geraten sind, zu retten. Ich bin in der Zeit in der ich Dienst hatte, aber auch des öfteren abgehauen, um mir Konzerte anzugucken. Igor: Ich kann mich nicht Totalverweigerer nennen, weil ich meine Einberufung noch nicht erhalten habe. Aber für mich ist klar, daß ich, wenn ich sie erhalte total verweigern werde. Gotzon: Für mich bedeutet total verweigern, sich gegen jeglichen Zwang, ob das nun Militärdienst oder andere Zwänge sind, aufzulehnen. Ich bin kein Totalverweigerer. Ich habe verweigert zum Zivildienst. Nächsten Monat wird meine Einberufung kommen. Ich habe aber auch vor, dann total zu verweigern. OU: Hier verstehen sich auch Leute als Totalverweigerer, die noch keine Einberufung erhielten, aber vorhaben, total zu verweigern, wenn diese eintrifft. Außerdem verweigern in Deutschland viele TKDVer erst den Wehrdienst, d.h. stellen einen KDV-Antrag, um danach total zu verweigern, weil es dann einfacher wird. Münsterland: Das ist in Spanien ähnlich. Riosa: Ich bin am studieren. Ich weiß nicht, was ich machen werde. Ich traue mich nicht total zu verweigern, weil es in Spanien eine rechte Regierung gibt und die Repressionen größer werden. Ich werde auf jeden Fall den Zivildienst machen, aber ich überlege nicht total zu verweigern. Ich unterstütze die Insumision (Totalverweigerung), aber ich bin kein Pazifist. Ich bin Antimilitarist, aber ich würde wenn nichts anderes mehr geht zur Waffe greifen, aus einem ähnlichen Gefühl heraus wie die Zapatistas oder die Tupac Amaru. Es ist kein Militär, was die Zapatistas machen, sondern bewaffneter Kampf. Es stellt sich heraus, daß es innerhalb der Band verschiedene Meinungen darüber gibt, was eine Armee ist. Eine Weile wird darüber auf spanisch hin und her diskutiert. Dann bereitet sich die Band auf den Auftritt vor, und unser Gespräch geht mit Jon Ander, dem baskischen TKDV-Berater weiter. Er ist mit auf die Tour gekommen, um jeweils vor den neun Konzerten in Deutschland einen Vortrag über die baskische/spanische Totalverweigererbewegung zu halten. OU: Was haben Totalverweigerer in Spanien an Repressionen zu erwarten? Jon: Ein Mensch, der in Spanien den Wehrdienst verweigert, weiß, daß ihn eine Gefängnisstrafe erwarten kann und ihm die staatsbürgerlichen Rechte über 10-12 Jahre aberkannt werden (keineswegs jedoch die Pflichten). Das bedeutet z.B., daß er kein BAföG beantragen und keine Arbeit im öffentlichen Dienst annehmen kann. Der Staat übt das aus, weil er der größte Arbeitgeber in Spanien ist. 60 % der Arbeitsplätze sind Arbeitsplätze des Staates. Es sollte auch durchgebracht werden, daß Totalverweigerer keinen Führerschein machen dürfen. Das ist aber zum Glück nicht durchgekommen. Das war ein Versuch des Staates, um zu sehen wie die öffentliche Meinung darauf reagiert. Auch bekommt man als Totalverweigerer kein Darlehen bei staatlichen Sparkassen. OU: Gibt es private Sparkassen? Jon: Nein. Die meisten Gemeinden bzw. Rathäuser im Baskenland unterstützen diese Gesetze jedoch nicht. Die Gesetze kommen vom Staat und werden an die Gemeinden weitergegeben, welche sich um deren Einhaltung kümmern sollen (eben darum, daß Totalverweigerer keine Arbeit in staatlichen Diensten bekommen). Es gibt im Baskenland eine Vereinigung von 25 Dörfern und Städten, die trotz dieses Gesetzes einstellen und Insumisus unterstützen. Unter ihnen sind Bermeo und Donastia (San Sebastian). Diese Gemeinden stellen Totalverweigerer in ihren Einrichtungen ein und bezahlen ihre Prozeßkosten. Der spanische Staat hat diese ökonomische Hilfe für illegal erklärt. Hierbei handelt es sich um einen speziellen Kampf zwischen dem spanischen Staat und den Gemeinden. Ein Gegenbeispiel gibt es in Guernica. Der Bürgermeister in Guernica von der PNV (Baskisch Nationale Partei) macht was der Staat sagt, d.h. er schafft Zivildienststellen und ist damit gegen die Totalverweigerer. Er sorgt dafür, daß in Guernica Totalverweigerer keine Chance bekommen, obwohl sich Guernica die "Stadt des Friedens" nennt. Zivildienstleistende erhalten in Spanien übrigens umgerechnet nur 20,- DM monatlich und müssen daher von den Eltern oder sonstwoher leben. Die PNV hat im Parlament zwar für die Unterstützung der Totalverweigerer gestimmt, aber teilweise ist es für sie einfach eine Geldfrage. Wenn eine Gemeinde viel Geld hat, unterstützt sie die Totalverweigerer. Wenn sie wenig hat, dann nicht. OU: Wie hoch sind die Gefängnisstrafen in der Regel? Jon: Zwischen 6 und 26 Monaten. Die Verweigerung des Zivildienstes bringt keine Haftstrafe mit sich, sondern eine Geldstrafe und die Aberkennung der Bürgerrechte. Zum Teil werden die Knaststrafen zur Bewährung ausgesetzt, jedoch sitzen viele Totalverweigerer im Knast, weil sie die Geldstrafe nicht gezahlt haben. Insgesamt sitzen 280 Totalverweigerer im Baskenland im Gefängnis. OU: Wie sieht die Unterstützung und Prozeßarbeit bei Totalverweigerern aus? Jon: Die M.O.C. (Moviment d'Objecció de Consciència Spanienweite Totalverweigererorganisation) bietet Vorbereitungskurse für Totalverweigerer an, in denen sie auf den möglichen Knastaufenthalt vorbereitet werden. Die M.O.C. ist eine Organisation, die alle Totalverweigerer unterstützt, egal aus welchen ideologischen Gründen sie verweigern. Ihr Interesse ist es, die Totalverweigerer zu vereinigen als eine Bewegung und sie nicht aufzusplitten. In Spanien ist es Gesetz, daß Gefangene bei Knaststrafen ins nächstgelegene Gefängnis kommen. Der Staat übt jedoch die Praxis aus, politische Gefangene in Gefängnisse zu stecken, die teilweise über 300 km vom Heimatort entfernt sind. Bei einer Stunde Besuchszeit (teilweise wird von 20 min. gesprochen!) pro Woche wird so der Kontakt zu Verwandten und FreundInnen fast völlig unmöglich gemacht. Außerdem wird die Post der/des Gefangenen kontrolliert und sie/er unter "normalen Strafgefangenen" inhaftiert, d.h. politisch isoliert. OU: Wie sieht die konkrete Prozeßarbeit in Spanien/Baskenland aus? Jon: Eine Aktionsform ist es z.B. zum Zeitpunkt des Prozesses von außerhalb ca. 300 Faxe ans Gericht zu schicken, so daß das Faxgerät am Gericht zur Zeit des Prozesses völlig überlastet ist und kein anderes Fax mehr annehmen kann. Eine andere Sache ist: Totalverweigerer, die an der Gerichtsverhandlung nicht teilnehmen, sammeln sich in 10-15er Gruppen und stellen sich dann im Nachhinein gemeinsam, weil sie sonst auf der Fahndungsliste stehen würden. Dieses gemeinsame Stellen wird mit Öffentlichkeitsarbeit verbunden, indem z.B. die Presse im Vorfeld informiert wird. So wird daraus eine politische Aktion. In Donastia ist es jedoch einmal passiert, daß ein Totalverweigerer nicht zur Gerichtsverhandlung erschienen ist, sich im nachhinein gestellt hat und der Polizist ihn nicht verhaften wollte. OU: Warum? Jon: Die Insumision ist speziell im Baskenland so in der Gesellschaft drin, daß kaum jemand, sogar teilweise die Polizei nicht, versteht warum Menschen, die ihrer Überzeugung folgen, ins Gefängnis sollen. Ein Grund, warum die Insumision sehr stark in der Gesellschaft verankert ist, ist auch, daß die Armee nie besonders beliebt war. Die Armee ist zu oft gegen das eigene Volk vorgegangen. Die spanische Armee ist vom technischen her auch so aufgebaut, daß sie vor allem nach innen wirken kann. Sie ist z.B. nicht so ausgelegt, daß sie evtl. Angriffe von außen abwehren könnte, sondern fast ausschließlich um sogenannte innere Feinde zu bekämpfen (Aufstände niederschlagen...). Das ist auch ein Grund warum die Totalverweigererbewegung speziell im Baskenland so stark ist. Ein Ja zur Insumision bedeutet ein Nein zur Armee! Unterdrückung und Repression wird im Baskenland durch das spanische Heer symbolisiert. Es existiert im Baskenland eine spezielle Ablehnung gegenüber der spanischen Armee; nicht jedoch z.B. gegenüber der NATO. Das Interview ist z.T. gekürzt und redaktionell bearbeitet. Gedenken wollen wir im Anschluß Unai Salanueva. Der Totalverweigerer sprang am 10. 2. aus dem Fenster der Wohnung seiner Eltern im 3. Stock und starb dabei. Eine Woche zuvor war er wegen seiner Verweigerung von Militär und Zivildienst verhaftet worden. Es war sein erster Tag im "offenen Vollzug". Um 22:00 Uhr hätte er zurück in den Knast gemußt. FreundInnen von ihm erzählten: "Er war still und zurückgezogen, aber hatte seine Totalverweigerung immer sehr klar. Vielleicht hat er sich in dem Moment dem Knast einfach nicht gewachsen gefühlt." |
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