Aus Ausgabe 5/95 (Herbst)

Antimilitaristische Sommeraktionstage '95: Bombodrom Wittstock

Wo soll der Bundeswehr Einhalt geboten werden, wenn nicht bei Wittstock? Wer soll das machen, wenn nicht Du und ich?

Vom 21.-28.8.1995 fanden am Bombodrom Wittstock die Antimilitaristischen Sommeraktionstage für eine FREIe HEIDe statt, zu denen die Gruppe FREIe HEIDe Berlin/Potsdam einlud. Vom 25.-28.8. führte die Gruppe "Lebenslaute" ihre diesjährige Aktionswoche durch. Für den 27.8. lud die örtliche BI FREIe HEIDe zu einer Protestwanderung ein, an deren Ende das Lebenslautekonzert stand. Zum ersten Mal entschloß sich die BI, eine Wanderung über den Platz anzumelden mit einer Kundgebung auf dem Platz. Am Ende des Sonntags stand auf dem Gelände des Bombenabwurfplatzes, am Kundgebungsort, direkt neben der Einfahrt zur Standortkommandantur, ein von einem Windrad angetriebenes Klangspiel. Viele erwarteten, daß das Klangspiel nicht lange stehen bleiben würde (siehe TAZ vom 29.8.), doch sie behielten nicht recht. Innerhalb weniger Tage wurde das Kunstwerk zu einem Wallfahrtsort.

Nach 1950, nach einem Borkenkäferbefall und einem Waldbrand, bei Nacht und Nebel okkupierten die sowjetischen Truppen einen großen Teil der 142 qkm Acker- und Waldfläche in Nordbrandenburg. Ein Zaun wird gezogen, die Bauern vom SED-Staat zum Verkauf gedrängt. Im Bewußtsein der Machtlosigkeit nahmen viele das relativ gute Kaufangebot des Staates an, andere wurden enteignet oder schlossen Pachtverträge ab.

Weitere Waldbrände folgten und die Erweiterung des Geländes auf die heutige Größe. Das Gelände wurde ausschließlich von der roten Armee als Schießübungsgelände für Panzer und Artillerie und vor allem als Bombenabwurfplatz genutzt. Die Größe erlaubte, einerseits die Raketenabschüsse und andererseits alle Arten der Bombenabwürfe zu üben, einschließlich der atomarer Waffen.

Am 30.6.1992 veröffentlichte das Bundesverteidigungsministerium seine Pläne, Wittstock für Luft- Boden- und Boden-Boden-Schießübungen "weiterzunutzen". Am 15.8. demonstrierten 4500 Menschen gegen die militärische Nutzung. Am 23.8. gründen rund 80 TeilnehmerInnen einer Protestversammlung die Bürgerinitiative FREIe HEIDe und erklären: "Wir werden niemals hinnehmen, daß die militärische Zernutzung unserer Region - ein Relikt des Kalten Krieges und ein Gewaltakt der rüheren Besatzungsmacht gegenüber den Einwohner - nun fraglos vom eigenen demokratischen Staat für rechtens erklärt und weiterbetrieben wird." Mit dabei waren alle Bürgermeister und viele Pfarrer der umliegenden Gemeinden. Seitdem kämpft die BI unermüdlich und bekommt seit 2 Jahren Unterstützung von der Gruppe FREIe HEIDe Berlin/Potsdam und Einzelpersonen aus Brandenburg.

Was die Menschen erwartet

Das Bundesverteidigungsministerium kündigt für den Bombenabwurfplatz Wittstock 3000 Einsätze pro Jahr an, bei Tag und bei Nacht. Üblicherweise wird in Viererformationen geübt mit je 8 Übungsbomben. Das bedeutet 3000 mal im Jahr 32 Anflüge innerhalb von 20 min.

Die DDR- Regierung hat nicht viel für die wirtschaftliche und kulturelle Entwicklung der Region getan. Nach der Machtübernahme durch den Westen ist die verbliebene Industrie und die LPG-Landwirtschaft in weiten Teilen zusammengebrochen und die Jugend abgewandert.

Der Bürgermeister von Schweinrich sagt, es würden derzeit in der Gegend etwa zu gleichen Teilen Kinder, Arbeitende, Arbeitslose und ältere Menschen leben. Die Menschen setzten nach der Wende ihre Hoffnungen auf den Tourismus. Mit Rheinsberg und als Tor zur Mecklenburgischen Seenplatte, mit Autobahnanschluß und in der Nähe von Berlin und Hamburg waren Investoren schnell gefunden. Rehabilitations- und Kurkliniken sollten entstehen. Jetzt ist alles gefährdet. Wer macht schon gern Urlaub an der Front? Die Bundeswehr versucht mit, sicheren "Arbeitsplätzen" Stimmung zu machen. Sie stellte bereits 30 Personen ein, aus jedem Ort mindestens eine. Weitere 30 Arbeitsplätze sind versprochen. Mit dem Schachzug, eine Garnison von 1000 Soldaten in der Region zu stationieren, wenn die Gemeinden dem Bombodrom zustimmten, versucht die Bundeswehr Stimmung gegen die BI zu machen, die das verhindere.

Workshop: "Die Logik der Gewalt überwinden"

Neben vielfältigen Informationen zur Geschichte, politischer Bedeutung, Bundeswehrkonzept usw. stand die Frage nach den Möglichkeiten von Protest und Widerstand im Vordergrund. Da der juristische Weg in diesem Fall noch mehr, als im Fall Gorlebens, nur begleitend sein kann, wäre die Frage zu stellen, ob es eine Alternative zu Parlamenten und Gerichten gibt, und wie sie aussehen kann.

In die Diskussion wurde letztendlich folgender Vorschlag von Seiten der Berliner reingetragen. Man stelle sich etwa vor, sobald die Bundeswehr mit den Bombenabwürfen anfängt, betritt jede Stunde eine andere Gruppe für 2 Stunden das Bombodrom und teilt dies dem Verteidigungsministerium mit. Das ist gar nicht so absurd, denn der Platz hat eine Grenze von 70 km. Bisher wurden nur einige wenige Kilometer unüberwindlichen Zauns gezogen.

Ein solches dezentrales Konzept ließe sich nur mit dem massivsten Polizei- bzw. BGS-Aufgebot verhindern. Auf der anderen Seite erfordert das eine sehr zuverlässige Logistik, aufwendige technische Ausrüstung und die Beteiligung vieler, vieler Menschen. Auf Dauer wäre so etwas nur leistbar, wenn mindestens 5.000 BürgerInnen sich daran beteiligten. Es wäre ein großer gesellschaftlicher Konsens nötig, der über die Region Wittstock hinausgehen müßte. Er könnte nicht über die Lärmbelästigung oder andere lokale Härten hergestellt werden, sondern nur über die Frage der Auslandseinsätze der Außenpolitik und der Verschwendung von Ressourcen durch die BW. Käme so etwas am "Tag B" zustande, dann wäre in der Tat das Bombodrom politisch nicht durchsetzbar.

Drei verschiedene Gruppen, eine Aktion

Die Kombination der 3 verschiedenen Gruppen erwies sich als sehr gut und auch notwendig, denn mit der BI FREIe HEIDe und Lebenslaute trafen 2 völlig verschiedene Gruppen aufeinander. Einerseits die BI-lerInnen, 40-50 jährig, alle ehemalige DDR-BürgerInnen, seit gut 3 Jahren politisch aktiv, andererseits die Lebenslauten, 20-40 jährig, überwiegend aus dem Westen, teilweise mit viel Erfahrung im Zivilen Ungehorsam, basisdemokratisch organisiert und als Bindeglied das Berlin/Potsdamer Bündnis, das seit über 2 Jahren erfolgreich mit der BI zusammenarbeitet, aber auch Lebenslaute kennt und wie diese sich basisdemokratisch und gewaltfrei versteht.

Die insgesamt 40 CampteilnehmerInnen führten einige kleinere Aktionen durch. Sie sammelten Müll auf dem Bundeswehrgelände, besprühten Schilder und brachten Sichtwerbung für die FREIe HEIDe an den Baumalleen an. Eine größere Aktion wurde vorbereitet, aber nicht mehr durchgeführt. Viele Energien mußten in die gemeinsame Aktion am Sonntag gesteckt werden.

Mitten durch den TüP verläuft - seit 1990 für den Privatverkehr wieder geöffnet - die Verbindungsstraße von Schweinrich nach Zechlin. An dieser Straße, ca. 5 km von Schweinrich entfernt, steht ein alter, baufälliger Kommandoturm, davor eine größere asphaltierte Fläche.

Genau auf diesem Platz sollte, so die Antwort des Kommandanten des TüP auf die Anmeldung des Protestmarsches und der Aktion durch die BI, das Lebenslaute-Konzert stattfinden. Und eben dort empfingen am Sonntag, dem 27. August gegen 15h, nach 2-stündiger emsiger Arbeit, 35 Lebenslaute Menschen und ebenso viele AktivistInnen vom Camp die 500 bis 600 ProtestwandererInnen. Die Stimmung war gut, denn einen ersten Erfolg konnten wir schon verbuchen: das Gerüst für das Klangspiel stand und zwar ca. 40 m in das Militärgebiet hinein, in passender, sprich transparen tlanger Entfernung zu dem irgendwie dort schon einzementierten Fundament des Windrads.

Die Polizei und Bundeswehr hatten gegen diesen Standort des Klangspielplatzes protestiert, uns aber weiter nicht bei den Bauarbeiten behindert. Mit dem Kanon "Wir schaffen am Frieden auf unsere Weise" eröffneten die Lebenslaute, nach der Begrüßung durch den BI-Vorsitzenden und einer Ansprache von Horst Kasner (ehem. Leiter des Pastoralkollegs in Templin) das Konzert: Lebenslaute statt Bombengetöse.

Nach dem Stück von Uli Klan "Seid Sand im Getriebe" forderten die Lebenslauten das Publikum auf - die Verbotsschilder ignorierend - in das Militärgelände zu gehen und direkt neben dem Klangspielplatz das Konzert fortzusetzen. Viele Kinder waren schon längst dort, probierten und lauschten an den Klangspielen. Einige AktivistInnen richteten das 6 m hohe Windrad auf.

Unser Gesamtkunstwerk wurde mit viel Applaus begrüßt. Zur Einweihung des Klangspielplatzes wurde ein Stück für Sprechgesang und Percussion von Barbara Rodi aufgeführt. Dieses Stück mit dem Titel "out-of-area" thematisiert den Zusammenhang zwischen den "Verteidigungspolitischen Richtlinien der Bundeswehr" und dem Tod vieler Menschen. Einen passenden Abschluß dieses Widerstandstages bildete das von allen gern gesungene "FREIe HEID Lied" von Uli Klan: Nein, nein, nicht hier und nirgendwo, wir wollen kein Militär und Bombenklo. Eh der Krieg von oben noch mal unser Land oder andere Menschen verletzt, wird dieser Bombenplatz von uns besetzt.!

und es steht doch... (Chr.)

Das Klangspiel klingt wunderbar. Viele Menschen steigen aus ihren Autos aus, gleich ob Bundeswehrangehörige, Touristen oder Einheimische, ignorieren die - noch vorhandenen - Verbotsschilder, gehen zum Klangspiel, lauschen der Musik und spielen mit den Instrumenten, üben "Grenzübertritte". Beides sind sehr mutmachende und zur Nachahmung anregende Erfahrungen: 1. Wie eine Idee, wenn sie von allen getragen, geformt und verwirklicht wird zu dem führen konnte, woran im Vorfeld fast niemand glaubte. 2. Daß das Klangspiel stehen blieb, ein Stück Land inmitten des Militärgeländes der zivilen, kreativen Nutzung und als Übungsfeld für Zivilen Ungehorsam übergeben wurde.

Ausblick

Dies Stückchen Land ist nicht einmal 1% der 142 qkm, da bleibt noch viel Platz für neue Ideen und Aktionen, zum Beispiel die Errichtung eines Skulpturenparks und eines Kreativspielplatzes und und und. Das alles und noch viel mehr wird nötig sein, um die bereits absehbare Auseinandersetzung mit der Bundeswehr führen zu können, wenn sie anfängt, Bomben zu werfen. Als nächstes steht die Idee im Raum, eine Lichterkette von der Offenen zur FREIen HEIDe als Ostermarsch 96 zu veranstalten. Das könnte ein Test für das bundesweite Interesse an diesen beiden Brennpunkten der sozialen Bewegungen sein. Wer bei der Vorbereitung von Ostern oder bei anderen Aktionen mitmachen, eine Veranstaltung bei sich durchführen würde oder einfach Kontakt aufnehmen will, wende sich an eine der folgenden Adressen:

FREIe HEIDe Berlin/Potsdam
c/o Anarchistischer Laden,
Rathenowerstr.22,
10 559 Berlin,
Tel: 030 / 4 01 34 26,
Fax: 030 / 3 94 61 67.
Spenden an: V.d.F.d.d.A.,
Postbank Berlin (BLZ 100 100 10),
Kto.-Nr.: 489767-107;

BI FREIe HEIDe
c/o Helmut Schönberg,
Tannenstr.12,
16 909 Schweinrich,
Tel: 033966 /246,
Spenden:
Kto.Nr.: 1680000167,
Sparkasse Ostprignitz-Ruppin (BLZ 160 502 02)

Lebenslaute ist ein bundesweiter Zusammenschluß interessierter MusikerInnen (Laien wie Profis) und verbindet bei vielfältigen, gewaltfreien Aktionen klassische Musik und Zivilen Ungehorsam dort, wo das Leben bedroht oder zerstört wird. Wir freuen uns immer über neue Mitglieder.

Kontakt:

Milky Way WG,
Katja Tempel,
Milchstr. 83,
32 120 Lippinghausen


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