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Aus Ausgabe 5/95 (Herbst)"Soldaten sind Killer" - Doppelurteil in Salzgitter
Mit einer wahren Werbekampagne begleitete die Salzgitter Zeitung die BW-Wanderausstellung "Unser Heer" im Juni/Juli '94. Insgesamt erschienen fünf promilitärische Artikel zur Ausstellung in dem rechtsgerichteten Blatt. Dagegen veröffentlichte die Anzeigenzeitung Salzgitter Woche LeserInnenbriefe, unter anderem auch den Brief von Thomas Keller, in dem er Soldaten als bezahlte Killer bezeichnete. In räumlicher Nähe war auch ein kritischer Kommentar des Redakteurs Frank Groß zur BW-Ausstellung abgedruckt worden. Einige Uniformierte erstatteten Anzeige und die Staatsanwaltschaft Braunschweig war sich nicht zu schade, Anklage wegen "Beleidigung und Volksverhetzung" zu erheben. Etwa ein Jahr nach dieser schlimmen Tat, am 6. Juli '95, kam es zur Aufführung des ersten Aktes am Staatstheater "AG Salzgitter-Lebenstedt". Richter Schulz hatte schon im Vorfeld des Prozesses verlauten lassen, daß er natürlich Verurteilen werde, er habe schließlich selbst gedient. Den Antrag wegen Befangenheit sparten sich Thomas und seine Anwältin Barbara Kramer, weil auch von den anderen RichterInnen nichts anderes zu erwarten wäre. Lachen verbotenDie Urteilshöhe verkündete Schulz aber nicht gleich vorneweg, sondern spielte - wenig überzeugend - den Aufgeschlossenen. Mit einer arrogant-freundlichen, väterlichen Art versuchte er die Disziplin im Gerichtssaal zu wahren. Gleich zu Anfang bat er sich Ruhe aus; Gelächter, Zwischenrufe und sonstige Bekundungen der Zustimmung oder des Unmuts wurden präventiv untersagt. Einem etwas zu spät angereisten Pressevertreter machte er auf seine "Ruhestörung" aufmerksam. Der konterte allerdings: "Wissen Sie, das ist doch mir freigestellt, wann ich komme." Richter Schulz nahm seine vom Journalisten unterbrochene Personalienfeststellung wieder auf, doch nahm Redakteur Frank Groß diesen überaus wichtigen Akt der Bürokratie anscheinend nicht erst genug: "... deutscher Staatsangehöriger?" - "So sieht's aus." "Ach wissen Sie, können wir uns hier wie zwei Erwachsene Menschen unterhalten?" Frank mußte nun auf die bereits gestellte Frage mit einem ordnungsgemäßen "Ja!" antworten. Auch als RA Barbara Kramer vor Beginn von Thomas' Einlassung noch den beanstandeten Leserbrief in voller Länge vorlesen wollte, hinderte sie Schulz daran - "Ach nee, das ist kein guter Vorschlag" - und verwies auf die Strafprozeßordnung. Killer - Mörder - RepressionenDann konnte sich Thomas zur Sache äußern. Er beschrieb zunächst seinen Eindruck von der Waffenschau, die er sich selbst angesehen hatte. Er kritisierte, daß hauptsächlich auf die Faszination durch die Waffen abgestellt und die BW eher als ein Abenteuerverein dargestellt wurde. Allein am ersten Tag besuchten 23 Schulklassen die Propaganda-Schau. "Was nicht gezeigt wurde, waren die Opfer von Waffen". Als der Angeklagte seinen Leserbrief nun endlich vorlesen wollte, unterbrach ihn Schulz, der die ganze Zeit eher gelangweilt gewirkt hatte: "Vorlesen ist ja eher meine Aufgabe." Er verlas den Brief so, als würde er ein paar Kindern eine lustige Geschichte zum besten geben. Dadurch ging dem Text viel von seiner Wirkung verloren. Das Vortragen einer schriftlichen Einlassung, die Thomas bereits im Dezember '94 an die StA Braunschweig geschickt hatte, wollte Schulz dann aber doch ihm selbst überlassen. Thomas, der selbst bei den Uniformierten gedient hatte, legte darin unter anderem dar, daß der englische Begriff Killer, das Töten gegen Entlohnung ausdrücke und die Soldaten der BW zum Töten ausgebildet werden und dafür auch entlohnt werden. Er drücke die Bereitschaft zum Töten aus. Deshalb sei Killer auch keine Steigerung des Begriffs Mörder, sondern umgekehrt sei Mörder die schärfere Formulierung. Weiter setzte der Salzgitteraner sich mit dem Recht auf freie Meinungsäußerung auseinander, daß im (eigentlich) zustehe. Schließlich bemängelte er die Durchsuchung der Redaktionsräume der Salzgitter Woche. Auf Drängen der StA waren die Räume der Zeitung am 19.10.94 nach den Adressen der BriefschreiberInnen - außer Thomas war noch eine Frau "unangenehm aufgefallen" - durchsucht worden. Dieser "Eingriff" wurde von allen Betroffenen als Einschüchterungsversuch verstanden und als Versuch, der Presse einen Maulkorb zu verpassen. Besonders kritisierte Thomas, daß die Durchsuchung unnötig gewesen war, denn: "Aus den Akten der Staatsanwaltschaft entnehme ich, daß meine Adresse bereits am 30.08.94 bekannt gewesen sei." Das Einwohnermeldeamt hatte Thomas' vollständige Adresse nämlich längst mitgeteilt. "Man hätte mich ja auch einmal direkt befragen können", schloß Thomas ab. Kritische Journalisten nicht erwünschtNun war die Reihe an Frank Groß. Der erklärte, daß er seine Aufgabe als Journalist nicht darin sehe, LeserInnenbriefe zu kürzen und somit zu verfälschen, sondern daß er die Zuschriften ernst nehme, auch wenn sie nicht seiner Meinung entsprächen. Auch Thomas Brief habe er vor der Veröffentlichung gelesen. Zwar empfand Frank, der sich gar zu vier Jahren BW verpflichtet hatte, dessen Äußerung als "harte Meinung" aber dennoch als akzeptabel. Der Redakteur berichtete dann von seinen Erfahrung in ehemaligen Jugoslawien, denn er hatte selbst Hilfslieferungen organisiert und auch begleitet. Bei einer dieser Unternehmungen wurde er von kroatischen Soldaten festgenommen, gefoltert und mit dem Tode bedroht. Nur durch einen Zufall wurde er wieder freigelassen. Nach all diesen Erfahrungen könne er Menschen verstehen, die Soldaten als Mörder oder Killer bezeichnen, auch wenn er sich diesen nicht anschließe. Frank berichtete weiter über einen Anruf von Oberstleutnant Szesni, dem Presseoffizier der Heeresleitung Köln und mitverantwortlich für die leidige Waffenschau. Der hatte bei der Redaktion der Salzgitter Woche angerufen, in den Hörer gebrüllt und die Herausgabe der Adressen der BriefschreiberInnen verlangt und andernfalls mit der Staatsanwaltschaft gedroht. Die kam ja auch irgendwann. Bevor es zu der Durchsuchung kam, organisierte die Zeitung noch einen "runden Tisch" in der Friedenskirche in Salzgitter. Die LeserInnenzuschriften konnten nicht alle veröffentlicht werden und ein klärendes Gespräch schien angebracht. Etwa 25 Menschen nahmen an der Veranstaltung teil, darunter auch eine BW-Fraktion. Dessen ungeachtet erstatteten die Heeresleitung und ein Salzgitteraner Reservist (Spitzname Nato-Günter) Anzeige gegen Thomas und Frank. Nach Franks eigentlichem Beitrag wollte StA Meier noch wissen, wie kundig der Redakteur im Presserecht sei, wer die Entscheidung für die Veröffentlichung getroffen habe und - als Frank sich selbst als verantwortlich bezeichnete - ob ihm denn nicht Bedenken hinsichtlich der Formulierung gekommen seien. Richter Schulz hingegen interessierte sich für das Einkommen der beiden Angeklagten. PlädoyersDie Beweisaufnahme wurde abgeschlossen und Herr Meier legte mit seinem Plädoyer los: "Wir sehen eine Steigerung von potentiellem Mörder zu bezahltem Killer", verkündete der StA. Ein Mörder könne ja aus noch nachvollziehbaren Motiven handeln (z.B. aus Wut), während ein Killer nur gegen Geld tötete. Auch sei die BW gemeint, vielleicht nicht nur, aber auch. Aber gerade das war vom Bundesverfassungsgericht als nicht straffähige Kollektivbeleidigung gewertet worden, was unseren Meier jedoch nicht zu stören schien. In Bezug auf Franks Kommentar zur Waffenschau meinte er weiter: "Man sieht auch, daß Kritik auch anders formuliert werden kann. Man muß nicht auf die Pauke hauen." Aber "wir haben uns daran gewöhnt, das derjenige, der die größte Fresse hat, am weitesten kommt." Meier sah in der Äußerung eine "Ehrabschneidung" der Soldaten. Dadurch sei der Tatbestand der Volksverhetzung gegeben, denn es handele sich um ein "böswilliges Verächtlichmachen, das geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören." Die Mittäterschaft Franks schloß der Staatsbüttel aus, denn dessen Kommentar war ja "wesentlich moderater", jedoch sehe er eine Beihilfe, die sich daraus ergebe, daß der Redakteur den beanstandeten Brief durch die Zeitung massenhaft verbreitet und ihm dadurch zu einer Publizität verschafft habe, die für die Anklage erheblich sei. Meier forderte jeweils hundert Tagessätze Geldstrafe gegen die Angeklagten. Außerdem forderte er die Veröffentlichung der Entscheidung im Falle der Verurteilung - darum habe nämliche die BW gebeten. Bei Thomas' Verteidigerin Barbara Kramer aus Braunschweig ging es dann zur Sache. Ihr ausführliches Plädoyer dauerte etwa eine dreiviertel Stunde. Beginnend mit einem Ausflug in die (Vor-)Geschichte des § 130 StGB (Volksverhetzung) setzte sie sich ausgiebig mit den einzelnen Tatbestandsmerkmalen auseinander, als da sind die "Störung des öffentlichen Friedens durch Angriff auf die Menschenwürde anderer". Dabei dürfe die Bestimmung "nicht die Funktion eines erweiterten Ehrenschutzes übernehmen", wie schon das OLG Frankfurt festgestellt habe. Weder sei aber durch Thomas Äußerung die Menschenwürde einzelner angegriffen worden, etwa durch eine Abstufung von Soldaten als unterwertige Menschen, noch sei der öffentliche Friede gestört worden, denn das Sicherheitsgefühl der Allgemeinheit sei wohl nicht so nachhaltig gestört worden, daß das Vertrauen der Bevölkerung in die öffentliche Rechtssicherheit erschüttert worden wäre. Den Tatbestand der Beleidigung sah die Rechtsanwältin ebenfalls nicht erfüllt, denn eine Kollektivbeleidigung gebe es nicht. Zwar könne eine Gruppe beleidigt werde, doch muß sie in dem Fall klar eingrenzbar sein. Eine Eingrenzung habe es aber in dem Leserbrief nicht gegeben, denn Thomas habe alle Soldaten als bezahlte Killer bezeichnet. Schließlich stellte Barbara den politischen Charakter dieses Strafprozesses heraus: "Dieses Verfahren heute ist eines demokratischen Rechtsstaat nicht würdig, ist Repression, läuft auf Zensur hinaus und ist daher undemokratisch." Sie forderte Freispruch für Thomas von beiden Anklagepunkten. Frank Groß wurde von dem Hannoveraner Anwalt von Döllen verteidigt. Zu Anfang seines Plädoyers machte der Anwalt noch einmal deutlich, daß die Zusammenarbeit zwischen ihm und Barbara nicht nur zu wünschen übrig ließ, sondern einfach gar nicht existierte. "Dieses Verfahren ist kein politisches Verfahren, sondern ein juristisches", meinte er. Schon während Franks Einlassung hatte er Barbara, die helfend eingreifen wollte zurechtgewiesen: "Ich glaube, Herr Groß ist anwaltlich ausreichend vertreten." Von Beihilfe könne bei seinem Mandanten keine Rede sein, denn es habe bei ihm kein Vorsatz bestanden, andere zu beleidigen "oder Schlimmeres". Kurz befaßte er sich noch mit dem Vorwurf der Volksverhetzung und das die Voraussetzungen hierfür nicht gegeben seien. Von Döllen machte wiederholt klar, daß er dem Staat keineswegs kritisch gegenübersteht, sondern ein braver Bürger ist, der leider "nie das Vergnügen oder Glück" hatte, bei der BW zu dienen. Selbst sein "liebster" Sohn war vier Jahre bei der BW, und "er hat es unbeschadet überstanden." Er biederte sich noch ein wenig an, indem er für die armen Polizisten in Hannover Partei ergriff, die unverständlicherweise auf einer Demonstration als Mörder diffamiert worden waren, nur weil sich einem von ihnen aus Versehen eine Kugel aus der Dienstwaffe gelöst hatte, die dann ausgerechnet einen kurdischen Jugendlichen das Leben kostete. Tja, Sachen gibt's... Na ja, jedenfalls komme die Anschuldigung der Volksverhetzung nicht in Betracht, da ja die BW selbst an der Diskussionsveranstaltung in der Friedenskirche teilgenommen habe. Für seinen Mandanten beantragte er "Freisprechung". An die Plädoyers schloß sich eine gut einstündige Pause an. "Herr Keller, das geht zu weit!"Beide Angeklagten wurden wegen Beleidigung zu je 10 Tagessätzen Geldstrafe verurteilt. "Natürlich" bestritt Richter Schulz, daß es sich bei dem Verfahren um einen politischen Prozeß handelte. Er sah hier einen ganz normalen Strafprozeß. Zwar war ihm der Vorwurf der Volksverhetzung zu weit hergeholt, dennoch sah er den Tatbestand der Beleidigung erfüllt, obwohl die Beleidigung eher kollektiv sei. Der Bezug zur BW werde aber durch den Anlaß für den Leserbrief hergestellt - die Waffenschau in Salzgitter. Das einzige Problem für Schulz bei der Verurteilung sei "ob ich das ernst nehmen kann, dieses Bild vom bezahlten Killer'". Es passe z.B. nicht für einen KFZ-Mechaniker beim Bund. "Das grenzt doch schon fast an Schwachsinn", daß jeder Soldat einen psychischen defekt haben solle. Für Schulz ist der Begriff Killer nämlich gleichgesetzt mit Psychopath. Fazit: "Herr Keller, das geht zu weit!" Im übrigen sei die BW "immer noch vom Willen der Mehrheit der Bevölkerung getragen". Na, da können wir ja froh sein, daß die Mindermeinung immer wieder ganz demoskopisch von der Mehrheitsmeinung abgeurteilt wird. (Rainer Scheer) Akz.: 10 DS 702 JS 28316/94 Im Anschluß als Dokumentation der Leserbrief von Thomas Keller:"Nachwuchs- und Akzeptanzsorgen treiben die Bundeswehr mit ihrer Ausstellung "Unser Heer" durch das Bundesgebiet, scheint doch die heutige Jugend nur noch aus "Drückebergern" zu bestehen. So war die Bundeswehr auch fünf Tage lang Gast auf dem Festplatz in Lebenstedt, um verstärktes Interesse am Wehrdienst zu erwecken. Insbesondere Kinder und Jugendliche, selbst ganze Schulklassen, ließen sich durch die vorgeführte Rüstungstechnologie faszinieren, konnte doch - von Biber bis Wiesel - fast der gesamte "Zoo" der Bundeswehr bestaunt werden. Nebenbei gab es Hubschrauberrundflüge in der BO105, die manch einem vielleicht von Saddam Husseins Giftgaskrieg gegen die Kurden bekannt ist. Derart weltweit getestetes Gerät wird sicherlich auch dabei sein, wenn Bundeswehreinheiten demnächst an "friedenssichernden" und "friedensschaffenden" Aktionen teilnehmen. In den Verteidigungspolitischen Richtlinien vom November 1992 kann man ja auch die künftige Aufgabe der Bundeswehr nachlesen, nämlich die "Aufrechterhaltung des Freien Welthandels" und der "ungehinderte Zugang zu Märkten und Rohstoffen in aller Welt". Nein, Militär ist nicht verharmlosend eine "starke Truppe" und erst recht keine "Friedensbewegung". Soldaten sind nicht nur potentielle Mörder, Soldaten sind im wahrsten Sinne des Wortes bezahlte Killer. Töten ist die Dienstleistung des Soldaten, und jeder Staat, der zur Tötungsübung befiehlt, wird auch willens sein, den Befehl zum Töten zu geben - wozu denn sonst unterhielte er seine bewaffneten Streitkräfte? Die Stadt Salzgitter betreibt eine schlechte Imagepflege, wenn sie sich als freundlicher Gastgeber für diese Waffenschau mißbrauchen läßt. Säbelrasseln und Wehrkunde hintertreiben die Sorgfaltspflicht auch und gerade gegenüber Heranwachsenden und pervertieren die Politik, die doch menschliches Zusammenleben zivilisiert und gewaltfrei regeln sollte. |
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