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Aus Ausgabe 5/95 (Herbst)Paraguay: "Kriegsdienstverweigerer wurden zum politischen
Bezugspunkt"
Aktuell haben in Paraguay mehr als 400 Menschen öffentlich ihre Kriegsdienstverweigerung erklärt. Das nachfolgende Interview mit Orlando Castillo von der Movimiento de Objectión de Conciencia (MOC) beleuchtet die wohl größte KDV-Bewegung Lateinamerikas. Es wurde anläßlich des letzten ICOM von Franz Nadler und Rudi Friedrich geführt. Frage: Warum hast Du verweigert? Orlando: Meine Motive zur Verweigerung sind der Militarismus an sich, die Durchdringung der Gesellschaft mit militaristischen Werten zur Gleichschaltung der Bevölkerung und die Ungerechtigkeit, die Armut, die miserablen sozialen Verhältnisse. Frage: Wie drückt sich dieser Militarismus aus? Orlando: Ich will dafür Beispiele geben: Die Leute trauern immer noch ein Stück weit der Militärdiktatur nach. Auch zwingt die ältere Generation immer noch ihre Söhne dazu, den Militärdienst abzuleisten, weil sie glauben, daß dann Männer aus ihnen werden.Dies ist ein Resultat der schon seit Generationen bestehenden Wehrpflicht. Zudem hat Paraguay zwei größere Kriege geführt. Eine Generation vermittelt diese Werte weiter an die nächste. Frage: Welche Funktion hat das Militär heutzutage? Orlando: Theoretisch ist Paraguay eine Demokratie. In der Realität werden jedoch Kundgebungen verboten. Es wird repressiv vorgegangen, obwohl es eine Verordnung gibt, die dies verhindern soll. Das Militär ist zu gut 80 % rund um Asunción stationiert bzw. dort, wo es Aufstände gibt. Am 12. Mai 1994 gab es einen Generalstreik, der sich über das ganze Land erstreckte. Auch die Landbevölkerung beteiligte sich daran. Als bei einer größeren Kundgebung in Chaco Rumbasco das Militär mit zwanzig Panzern gegen die Leute vorgingen, kamen zwei Menschen ums Leben. Sie ermorden auch weiterhin Journalisten, StudentInnen oder Leute auf dem Land. So stellt sich in der Realität heraus, daß das Militär eigentlich dazu da ist, in Innern eingesetzt zu werden, obwohl es nach der Verfassung die Souveränität des Staates und die Unversehrtheit des Territoriums garantieren soll. Ein großer Widerspruch. Frage: Nach Paraguay sind in den 40er Jahren viele deutsche Faschisten gegangen und haben dort das Militär unterstützt. Hat das heute noch Konsequenzen für die paraguayische Gesellschaft? Orlando: Historisch war Paraguay einer der wenigen Staaten, der bereits in den vierziger Jahren nazistisch war. Es gab das gleiche System der Unterdrückung durch die Diktatur. Auch heute sind alle Militärs Faschisten und stellen sich auch in der Öffentlichkeit als solche dar. Ihr öffentlicher Diskurs ist total faschistisch. Frage: Wie führt das Militär die Wehrpflicht durch? Orlando: In Paraguay wird zwangsrekrutiert. Niemand geht freiwillig zur Armee. Die Armee rekrutiert vor allen Dingen in den ländlichen Gebieten, da die Leute dort nichts über ihre Rechte wissen. Dort ist es auch so, daß die Eltern den Jungen beibringen, daß sie zu gehorchen und still zu sein haben, wenn ein Offizieller zu ihnen spricht. In den letzten drei Jahren gab es 25 Fälle von Wehrpflichtigen, die während des Dienstes ums Leben kamen. Von den Verantwortlichen ist keiner je bestraft worden. Offiziell heißt es, daß es Unfälle gewesen wären. Frage: Betrifft die Rekrutierung auch Indigenas? Orlando: Indigenas unterliegen in Paraguay nicht der Wehrpflicht. Sie werden aber oft von den Militärs von ihren Land vertrieben. Der Grund dafür ist, daß das Militär an der illegalen Wirtschaft beteiligt ist, d. h. an Schmuggel und Drogenhandel. Dafür werden die Landepisten für Flugzeuge gebaut oder Latifundien vergrößert. Darüber dringt wenig an die Öffentlichkeit. Die Indigenas leisten auch keinen Widerstand, sondern weichen dem einfach aus. Als Drogenhändler ist General Rodriguez, der vorübergehend sogar Präsident von Paraguay war, bekannt geworden. Frage: Gibt es in Paraguay ein Recht auf Kriegsdienstverweigerung? Orlando: Wir versuchten Druck auszuüben, um das Recht auf Kriegsdienstverweigerung in der Verfassung zu verankern, indem wir eine Lobby bildeten. Dabei wandten wir uns vor allem an die Linke. Sie ist zwar in der Gesellschaft in der Minderheit, aber wir sahen die Möglichkeit, von ihnen Unterstützung zu bekommen. Wir versuchten auch, Unterstützung von den konstitutionellen Parteien zu bekommen, also von der Partido Colorado (sie stellt gegenwärtig die Regierung) und der Partido Liberal. In der Jugendorganisation der Partido Colorado ist der Sohn des Verteidigungsministers. Ihm war die Kriegsdienstverweigerung schon bekannt und er hat über die Partei eine entsprechende Gesetzesinitiative initiiert. Allerdings war das dann ein Projekt der Partei. Danach sollte die Kriegsdienstverweigerung über ein Anerkennungsverfahren gesetzlich geregelt werden. Nach unseren Vorstellungen soll es jedoch möglich sein, die Kriegsdienstverweigerung lediglich zu erklären. Schließlich kam deren Vorschlag bei der Abstimmung durch. Nach der Verfassung ist der Zivildienst in zivilen Einrichtungen, als ein Dienst an und für die Bevölkerung, abzuleisten. Dies war ursprünglich von der SERPAJ und der Kirche vorgeschlagen worden. Auf unsere Initiative hin wurde der Gesetzesentwurf insoweit geändert, daß der Zivildienst nicht länger dauern darf als der Kriegsdienst, daß er keinen Strafcharakter haben darf, und daß Kriegsdienstverweigerer durch so ein Gesetz nicht irgendwelche Nachteile erfahren dürfen. Zudem wurde über das Gesetz hinaus das Recht auf Kriegsdienstverweigerung als ein fundamentales Grundrecht in der Verfassung verankert.
Frage: Wie sieht die Situation für Kriegsdienstverweigerer aktuell aus? Orlando: Bezüglich der Anerkennung von Kriegsdienstverweigerern haben wir einen Vorteil: außerhalb des KDV-Gesetzes gibt es drei weitere Artikel in der Verfassung, die Kriegsdienstverweigerer praktisch zu ihrem Schutz in Anspruch nehmen können. Nach Artikel 24 ist die Gewissens, Glaubens- und Ideologiefreiheit geschützt, nach Artikel 33 darf niemand in seiner Privatsphäre überprüft werden und nach Artikel 37 bzw. Artikel 129 Absatz 5 gibt es das Recht auf Kriegsdienstverweigerung. Zur Zeit gibt es 55 anerkannte Kriegsdienstverweigerer (Aktueller Stand: 400 - fn ). Es wurde noch keiner abgelehnt. Von unserer Gruppe aus haben wir zwei Formen, die Kriegsdienstverweigerung zu erklären. Die eine heißt "Escribano Publico". Das ist so etwas wie eine eidesstattliche Erklärung, die öffentlich abgegeben wird. Die zweite Form nennt sich "Habeas Corpus Preventivo". Das bedeutet, daß man sich auf ein Grundr echt bezieht, das über Gesetzesregelungen steht. Darüber ist es möglich, die Einberufung zu verhindern. Es hat also aufschiebende Wirkung. Auch Soldaten und Reservisten können verweigern. Frage: Ihr organisiert von Zeit zu Zeit öffentliche Kriegsdienstverweigerungen. Welche Strategie verfolgt Ihr damit? Orlando: Wir sind gerade dabei, die Kriegsdienstverweigerung möglichst bekannt zu machen, darüber Informationen zu verbreiten... Wir sagen: Leistet auf keinen Fall Kriegsdienst! Es gibt ja in Paraguay viele, die sich dem Militärdienst entziehen. Wir sehen aber, daß es nicht reicht, einfach nicht hinzugehen, sondern daß eine politische Handlung notwendig ist. Das erste lateinamerikanische Treffen zur Kriegsdienstverweigerung und die öffentliche Verweigerung haben in Paraguay dafür gesorgt, daß wir auf einige Bereiche der Gesellschaft Einfluß erhalten haben. Wir sind sozusagen zum politischen Bezugspunkt, zu einem politischen Akteur geworden, der mittlerweile wahrgenommen wird. Unser wichtigstes Ziel ist die Abschaffung der Armee. Kurzfristig versuchen wir dafür Einfluß auf die KDV-Gesetzgebung zu nehmen. Daneben versuchen wir Menschenrechtsverletzungen im Militär, insbesondere aber auch Zwangsrekrutierungen auf d en Straßen öffentlich zu machen und vor das Parlament zu bringen. Frage: Wie sieht der Zivildienst aus? Orlando: Für den Zivildienst gibt es derzeit drei ausformulierte Konzeptionen. Eine ist von der Menschenrechtskommission (Comisión de Derechos Humanos), eine zweite vom Verteidigungsministerium sowie eine dritte von der Parlamentarischen Verteidigungskommission (DISERMOV). Nach dem Projekt der Menschenrechtskommission soll der Zivildienst die gleiche Länge wie der Militärdienst haben. Das Verteidigungsministerium schlägt ein Maximum von 15 Monaten vor und die Parlamentarische Verteidigungskommission ein Minimum von 15 Monaten. Der Militärdienst dauert 12 Monate. Alle drei Vorschläge sind wirklich beschissen. Der Zivildienst ist ein Ersatzdienst, der sicherlich der Regierung helfen wird, Geld zu sparen, um dies in andere Bereiche zu investieren. Frage: Gibt es bei Euch auch Totalverweigerer? Orlando: Wir diskutieren über die Totalverweigerung. Wir sehen das als eine Möglichkeit, politischen Druck auszuüben, wie das z.B. in Spanien der Fall ist. Es ist eine Möglichkeit zu sagen, daß wir nicht nur gegen den Militärdienst sind, sondern gegen alles was Leute unterdrückt und sie zwingt, dem Staat zu dienen. Da das KDV-Gesetz bislang nicht in die Praxis umgesetzt worden ist, gibt es noch keine Ausführungsbestimmungen, also auch noch keinen Zivildienst. Es gibt aber ein Gesetz, nach dem Kriegsdienstverweigerer, die auch den Zivildienst verweigern, eine Strafe zwischen acht Monaten und zwei Jahren erhalten. Solange es keine Ausführungsbestimmungen gibt, kann das Gesetz auch nicht verletzt werden. Frage: Gibt es auch Frauen in Eurer Gruppe? Orlando: Es gibt in Paraguay auch vier Frauen, die verweigert haben. Das ist bemerkenswert. Nach der Verfassung sollen Frauen Hilfsdienste im Falle eines Krieges leisten. Diese werden von den Frauen verweigert. Frage: Was erhoffst Du Dir von diesem KDV-Treffen? Orlando: Wichtig ist der Austausch zwischen den Gruppen, eine Koordination und Information. Die Entwicklung wird weitergehen. Die KDV ist ein Phänomen, das wächst. Ein Beispiel dafür ist das nächste, 1995 in Chile stattfindende, lateinamerikanische Treffen. Interview mit Orlando Castillo, MOC Paraguay. Fragen von
Franz Nadler und Rudi Friedrich beim "International Conscietious
Objectors Meeting (ICOM)" (10.-17.Nov.1994 in Kolumbien). Kontaktadresse: Movimiento de Objeción de Conciencia, |
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