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Aus Ausgabe 5/95 (Herbst)Ersatzdienst und sozialer Bereich
Eigentlich ist dieser Artikel längst überfällig und auch schon lang geplant worden. Leider mußte die Veröffentlichung immer wieder verschoben werden. Schon im November '93 schloß Dietmar von Boetticher seine sozialwissenschaftliche Examensarbeit an der Uni Bonn zum Thema "Zivildienst und Sozialer Bereich" ab. Wir veröffentlichen die Arbeit gekürzt und leicht redaktionell bearbeitet. (Red.) Die arbeitsmarktpolitische Bedeutung des Zivildienstes[...] Würde man sich auf eine rein theoretische Betrachtungsweise beschränken, so ließe sich die Frage, ob der soziale Bereich ohne den Zivildienst zusammenbrechen würde, mit einem klaren, kurzen 'Nein' beantworten, denn laut Dieter Hackler, dem Bundesbeauftragten für den Zivildienst, gilt der Grundsatz: "Beschäftigungsstelle des Zivildienstes können nur Einrichtungen sein, die dem Allgemeinwohl dienen und die nachweisen, daß der Einsatz von Zivildienstleistenden arbeitsmarktneutral ist." Das Prinzip der arbeitsmarktpolitischen Neutralität gilt dabei als verletzt, wenn durch einen Zivildienstplatz ein Arbeitsplatz ersetzt wird, d.h. der Zivildienst soll ein zusätzlicher Dienst sein, so daß bei dessen Wegfall keine größeren Probleme entstehen dürften. Diese Arbeitsmarktneutralität ist nicht direkt im Zivildienstgesetz verankert, sondern lediglich in den Richtlinien zu dessen Durchführung. Dort heißt es: "Zivildienstplätze dürfen nicht anerkannt werden, wenn sie nachweislich einen bisherigen Arbeitsplatz ersetzen oder eine Einrichtung eines neuen Arbeitsplatzes erübrigen sollen." Vergleicht man diese Bestimmung mit dem vorangegangenen Zitat des Bundesbeauftragten, so fällt auf, daß die Nachweispflicht der Arbeitsmarktneutralität nicht bei der Dienststelle liegt, sondern daß umgekehrt das für die Anerkennung zuständige Bundesamt für den Zivildienst mangelnde Arbeitsmarktneutralität nachweisen müßte. [...] Bevor ich näher auf die tatsächliche arbeitsmarktpolitische Bedeutung des Zivildienstes eingehe, möchte ich noch [... zwei] Zitate anführen, die die offizielle, theoretische Sichtweise des Zivildienstes verdeutlichen, welche mit der heutigen Realität jedoch wenig gemein hat und daher eher unter die Rubrik 'was nicht sein kann, das nicht sein darf' fällt: Dieter Hackler: "Zivildienst ist als Wehrersatzdienst eben die Ausnahme... Zivildienst hat also folglich auch kein eigenes Staatsziel. ... so ist der Zivildienst als Wehrersatzdienst eben nicht Teil des Sozialen. Als Wehrersatzdienst kann er überhaupt nicht die Funktion haben, die sozialen Sicherungssysteme der Bundesrepublik Deutschland aufrecht zu erhalten." Heiner Geißler im Interview mit Klaus Pokatzky: "Es kann auch nicht angehen, daß die Träger des Zivildienstes mit den Zivildienstleistenden Personal einsparen. ... Wenn sie das tun, ist es gesetzwidrig." Frage: Das tun sie aber - und zwar mit zehntausenden von Stellen. Geißler: "Ich kann keinen gesetzwidrigen Zustand bestätigen. ... Gesetzwidrige Zustände darf es nicht geben." [...] Für die Hansestadt Bremen ermittelte Jürgen Blandow in seiner 1986/87 durchgeführten Arbeitsmarktstudie 'Zivildienstleistende als Personalgruppe des Wohlfahrtswesens' u.a.: "In Stunden ausgedrückt erbringen ZDL somit 11,4% der Gesamtleistung der bremischen freien Wohlfahrtspflege." Anhand seiner Untersuchungsergebnisse kommt Jürgen Blandow letztlich zu dem Schluß: "Daß Zivildienstleistende keine arbeitsmarktpolitischen Neutren sind, erhellt sich aus diesen Zahlen eindeutig. Es gibt auch keinerlei Hinweise darauf, daß ZDL 'zusätzliche', also außerhalb der Regelaufgaben wahrgenommene Tätigkeiten ausüben." Ulrich Finckh kommt zu dem gleichen Urteil: "Eine arbeitsmarktpolitische Neutralität des Zivildienstes gibt es nicht! Jede Tätigkeit, die ein Zivildienstleistender im sozialen Bereich ausübt, könnte eine gut ausgebildete Fachkraft, die z.Zt. arbeitslos ist, durchaus übernehmen. Damit wäre Arbeitslosen und Patienten geholfen. [...] Notwendige Verbesserungen in den Sozialberufen hat unter anderem auch der Zivildienst verhindert. Insofern war er nicht etwa nur Hilfe gegen den Pflegenotstand, sondern auch dessen (Mit-)Verursacher!" [...] Auch von Seiten des Verbundes behinderter ArbeitgeberInnen wird dem Zivildienst Mitverantwortung am Pflegenotstand gegeben: "Zivildienstleistende, Helfer des freiwilligen sozialen Jahres und ehrenamtlich Tätige im Pflegebereich verderben den Arbeitsmarkt für die freie Wahl von Pflegekräften, weil ihre Existenz eine marktgerechte Lohnentwicklung bremst und daher zu ständigem Unterangebot an verfügbaren Helfern führt." [...] Es ist einsichtig, daß sich der Einsatz von Zivildienstleistenden aus betriebswirtschaftlicher Sicht für die Dienststellen lohnt bzw. daß diese sich im Einzelfall aufgrund von Kostenerstattungsregelungen, Sparmaßnahmen im Gesundheitsbereich und/oder Konkurrenzgründen sogar zur Beschäftigung von Zivildienstleistenden gezwungen sehen. Es stellt sich aber die Frage, ob der Zivildienst insgesamt angesichts des hohen Verwaltungsaufwandes und wachsender Arbeitslosenzahlen als 'billig' angesehen werden kann. [...] Ein weiteres problematisches arbeitsmarktrelevantes Merkmal des Zivildienstes sind die arbeitsrechtlichen Bestimmungen, die mit denen des Wehrdienstes vergleichbar sind und daher vielfach von denen im zivilen Bereich abweichen und dort einen Fremdkörper darstellen, der die Gefahr in sich birgt, die Arbeitsbedingungen im übrigen sozialen Bereich auszuhöhlen: "Die von den Zivildienstleistenden bewältigten Aufgaben und die von ihnen disziplinarisch forderbaren Leistungen könnten sich inoffiziell als Meßlatte für die Leistungen auch der Hauptberuflichen etablieren. ... Besonders fatal ist dabei, daß sich diese Konkurrenz nicht über einen Markt gestaltet, was praktisch die Möglichkeit eines chancengleichen Wettbewerbs zwischen den zivildienstlichen und den hauptberuflichen Arbeitskräften ausschaltet." Die Einführung einer Allgemeinen DienstpflichtIn der Diskussion um die allgemeine Wehrpflicht tauchen häufig Vorschläge zur Einführung einer 'Allgemeinen Dienstpflicht', einem 'sozialen Pflichtjahr' oder ähnlichem auf. Dies liegt wohl vor allem darin begründet, daß man auf den Zivildienst nicht ersatzlos verzichten kann und deshalb viele einen ähnlichen Dienst auch bei Abschaffung/Aussetzung der allgemeinen Wehrpflicht erhalten bzw. neu schaffen wollen. [...] Desweiteren wären, ähnlich wie beim Zivildienst, im Falle einer Dienstpflicht arbeitsmarktpolitische Auswirkungen unvermeidbar - vermutlich sogar in noch größerem Ausmaß als beim Zivildienst. [...] Ein allgemeiner Pflichtdienst würde, wie die verstärkt angeordnete 'gemeinnützige' Arbeit nach dem Bundessozialhilfegesetz, einen 'dritten Arbeitsmarkt' etablieren, wodurch die übrigen ArbeitnehmerInnen - vor allem im sozialen Bereich und in den unteren Lohngruppen - zunehmend unter Druck gerieten. Es steht zu befürchten, daß sich die Arbeitsbedingungen im sozialen Bereich dadurch eher verschlechtern und soziale Arbeit allgemein durch den Einsatz von Pflichtdienstleistenden eher eine gesellschaftliche Abwertung erfährt, so daß sich der Pflegenotstand - bezogen auf professionelle Arbeitskräfte - weiter verschärft. [...] Dabei muß auch für eine allgemeine Dienstpflicht - ebenso wie für den Zivildienst - kritisch hinterfragt werden, ob die Dienstpflichtigen tatsächlich so billig sind, wie vielfach unterstellt wird. So kamen z.B die Arbeitsgruppen der Studientagung 'Zivildienst in der Sackgasse?' zu dem Ergebnis: "Ernsthafte Einführung und Begleitung der Betroffenen [von seiten der Dienststellen] machen auch die allgemeine Dienstpflicht zu keiner billigen Lösung." Und auch der immense Kosten- und Verwaltungsaufwand für Erfassung, evtl. Tauglichkeitsprüfung, Stellenzuweisung, berwachung usw., der bei Einführung eines Pflichtdienstes entstehen würde, darf nicht vernachlässigt werden. [...] Modellrechnung[...] Konkrete Berechnungen der Gesamtaufwendungen für Löhne und Gehälter, die Zivildienstleistenden (oder den entsprechenden 'Ersatz'- Arbeitskräften) bei tariflicher Bezahlung ihrer Arbeit zustehen würden, sind bislang kaum veröffentlicht worden zumindest sind mir nur zwei bekannt. Dies ist zum einen die äußerst knappe 'Modellrechnung für den Geldwert der ZDL-Arbeit' von Jürgen Blandow im Rahmen seiner regionalen Arbeitsmarktstudie 'Zivildienstleistende als Personalgruppe des Wohlfahrtswesens', zum anderen die sehr differenzierte und ausführliche 'Berechnung des fiktiven Werts zivildienstlicher Arbeit' von Cornelius Kraus in seiner Studienarbeit 'Zur volkswirtschaftlichen Bedeutung des Zivildienstes'. Beide beziehen sich auf das Jahr 1987 und kommen - trotz äußerst unterschiedlicher Berechnungsansätze - auf das gleiche Ergebnis, nämlich auf einen Geldwert der zivildienstlichen Arbeit in Höhe von etwa 2,24 Mrd. DM. [...] Cornelius Kraus schätzt den Wert der durch Zivildienst geleisteten Arbeit sehr differenziert und vor allem sehr vorsichtig ab, d.h. in Zweifelsfällen eher zu niedrig. Dies muß deutlich betont werden [...]. "Um auch eine für Skeptiker in jedem Fall glaubwürdige Größe zu ermitteln, wird auch eine die zivildienstlichen Tätigkeiten eher zu niedrig bewertende Größe [Untergrenze] errechnet." Zur Berechnung dieser Untergrenze werden die untersten Vergütungs-, bzw. Entlohnungsgruppen herangezogen, die im öffentlichen Dienst existieren. Daneben ermittelt Kraus eine Obergrenze, die sich an der Vergütung bzw. Entlohnung einfachst ausgebildeter Arbeitskräfte mit vergleichbarer Tätigkeit orientiert. [...] Zwischen Ober- und Untergrenze ermittelt Kraus zusätzlich noch einen 'Orientierungspunkt', der sich an der Entlohnung bzw. Vergütung angelernter Kräfte orientiert und den Kraus für den plausibelsten der drei Werte hält. [...] Bei meinen Berechnungen zu den entstehenden Kosten bei tariflicher Bezahlung der im Zivildienst geleisteten Arbeit orientiere ich mich im Wesentlichen an den Voraussetzungen und am Vorgehen von Kraus [...]. Cornelius Kraus geht es in erster Linie um eine möglichst vorsichtige Abschätzung des Wertes der von Zivildienstleistenden erbrachten Arbeit, d.h. er legt seinen Berechnungen die Personengruppe der Zivildienstleistenden zugrunde. Diesen Wert aktualisiere ich - unter dem vereinfachten Stichwort 'Zivildienst-Wert' [...]. Dieser 'Zivildienst-Wert' müßte in etwa aufgewendet werden, wenn man die Zivildienstleistenden selbst tariflich bezahlen würde, was z.B. für eine gewisse bergangszeit im Falle eines kurzfristigen Wegfalls des Zivildienstes theoretisch denkbar wäre. Da es mir aber vor allem um eine Abschätzung der Kosten geht, die aufgewendet werden müßten, wenn Zivildienstleistende durch tariflich bezahlte Arbeitskräfte vom freien Arbeitsmarkt ersetzt würden, ist dieser 'Zivildienst-Wert' eher als absolute Untergrenze zu sehen. Daher berechne ich zusätzlich einen Geldwert - den ich kurz 'Ersatz-Kosten' nenne - der sich an Kraus' Zuordnungen der Tätigkeitsbereiche bezüglich der 'Obergrenze' orientiert und bei dem ich von einer durchschnittlichen Arbeitskraft ausgehe, die 25 Jahre alt und verheiratet ist, ein Kind hat, seit vier Jahren in ihrem Beruf beschäftigt ist und sich 'bewährt' hat. [...] Meine Berechnungen gelten für das Jahr 1993 und basieren auf den für die westlichen Bundesländer gültigen Vergütungen und Monatstabellenlöhnen im öffentlichen Dienst für 1993 und der Anzahl der belegten Zivildienstplätze im gesamten Bundesgebiet am 15.5.1993. [...] Ergebnisse[...] Eine tarifliche Entlohnung der derzeitigen Zivildienstleistenden für ihre Arbeit würde gut 4,5 Mrd. DM pro Jahr kosten ('Zivildienst-Wert'), während eine komplette Ersetzung der derzeitigen Zivildienstleistenden durch tariflich bezahlte Arbeitskräfte Kosten in Höhe von gut 5,3 Mrd. DM pro Jahr verursachen würde ('Ersatz-Kosten'). Diese Aufwendungen sind jedoch nicht notwendigerweise gleichzusetzen mit entstehenden Kosten bei Wegfall des Zivildienstes. So ist es z.B. fraglich, ob die Anzahl der neu einzustellenden hauptamtlichen Arbeitskräfte der Anzahl der derzeit besetzten Zivildienstplätze entsprechen muß. [...] Weitgehend Einigkeit herrscht darüber, daß insgesamt weniger hauptamtliche Arbeitskräfte notwendig wären: Markus Ermert geht dabei genau wie das Generalsekretariat des Malteser Hilfsdienstes von einem Verhältnis derzeit besetzter Zivildienstplätze zu notwendigen Vollzeitarbeitsplätzen mit tariflicher Bezahlung von 10:9 aus. Orientiert man sich an diesem groben Schätzwert und geht stark vereinfachend davon aus, daß dieses Verhältnis für alle Tätigkeitsbereiche gleichermaßen gilt, so verbleiben im Rahmen der vorangegangenen berlegungen jährliche Kosten von knapp 4,8 Mrd. DM, die aufgewendet werden müßten, um bei Wegfall des Zivildienstes den derzeitigen Standard im sozialen Bereich durch Einsatz tariflich bezahlter Arbeitskräfte zumindest aufrecht zu erhalten. [...] Derzeitige Ausgaben für den ZivildienstDer einzige Posten, der sich in diesem Teilbereich recht exakt angeben läßt, ist zugleich auch der größte, nämlich der Etat des Bundesamtes für den Zivildienst. [...] Der Gesamtetat des Bundesamtes ist für 1993 mit 2,104 Mrd. DM veranschlagt dieses Geld könnte bei Wegfall des Zivildienstes komplett eingespart werden. Den nächstgrößeren Posten in diesem Bereich stellen wohl die bisherigen Ausgaben der Dienststellen für die Zivildienstleistenden dar, die nicht vom Bundesamt gedeckt werden. Dazu gehören zum einen Kosten für Unterkunft, Verpflegung, Arbeitskleidung sowie für den Verwaltungsaufwand, zum anderen Kosten für die Einführung, Aus- und Fortbildung. [...] Wegen der [...] Schwierigkeiten scheint es sinnvoller, die nicht vom Bundesamt getragenen Kosten der Dienststellen pro Zivildienstleistendem pauschal abzuschätzen [...]. Mir erscheint die von Rüdiger Löhle [Pressesprecher des Bundesamtes für Zivildienst] getroffene Abschätzung der Dienststellen-Kosten, die nicht vom Bundesamt für Zivildienst übernommen werden, in Höhe von durchschnittlich 600 DM pro Zivildienstleistendem und Monat zwar als deutlich zu tief gegriffen, werde sie hier aber dennoch im Sinne einer sehr vorsichtigen Abschätzung übernehmen. Mit diesen 600 DM pro Monat als Grundannahme errechnen sich bei 112.268 Zivildienstleistenden für die Dienststellen Gesamtkosten in Höhe von 808.329.600 DM für das Jahr 1993. [...] Abschließend zu diesem Teilkapitel sei angemerkt, daß die hier aufgeführten Kosten des Zivildienstes bei der Einführung einer Allgemeinen Dienstpflicht in ähnlichem Umfang entstehen würden. Minderausgaben und Mehreinnahmen[...] Bei der Berechnung der Minderausgaben bzw. Mehreinnahmen im Zusammenhang mit der Beschäftigung Arbeitsloser stütze ich mich im Wesentlichen auf eine Untersuchung von Hans-Uwe Bach und Eugen Spitznagel zu den finanziellen Auswirkungen der 'Allgemeinen Maßnahmen zur Arbeitsbeschaffung' (ABM) für das Jahr 1991[...]. Dabei gehe ich vereinfachend davon aus, daß die Struktur der Gruppe der Arbeitslosen, die die Hälfte der neu zu schaffenden Stellen im sozialen Bereich besetzen würden, der Struktur derjenigen Gruppe entspricht, die 1991 eine ABM-Stelle innehatten. [...] Diese Annahme wirkt sich in mehrerer Hinsicht deutlich mindernd auf die zu berechnenden Einsparungseffekte aus [...]. Da in die Berechnung der Kosten [...] westdeutsche Löhne und Vergütungen eingeflossen sind und auch die dort berücksichtigten Beiträge zur Sozialversicherung auf dieser Grundlage ermittelt wurden, gehe ich bei der Berechnung der Sozialversicherungsbeiträge ebenfalls von den [...] berechneten Löhnen und Vergütungen auf 'West-Niveau' aus. [...] Bei den Mehreinnahmen von Bund, Ländern und Gemeinden bei der Lohnsteuer und den indirekten Steuern lege ich für alle neueinzustellenden Arbeitskräfte die verhältnismäßig niedrigen Beträge von Hans-Uwe Bach und Eugen Spitznagel für die ABM-Arbeitskräfte des Jahres 1991 zugrunde, wodurch auch diese Abschätzung eher zu niedrig ausfällt. Da ich bei der Berechnung der Kosten [...] von westdeutschen Löhnen und Vergütungen für alle neuzuschaffenden Stellen im sozialen Bereich ausgegangen bin, halte ich mich bei den Steuer-Mehreinnahmen ebenfalls durchgehend an die Schätzungen von Bach und Spitznagel für die westlichen Bundesländer, die für die Lohnsteuer bei 5.910 DM und für die indirekten Steuern bei 1.680 DM pro Jahr liegen. [...] ErgebnisseUnter den oben erwähnten Annahmen ergeben sich durch die Schaffung von gut 90.000 neuen Arbeitsplätzen im sozialen Bereich bei Wegfall des Zivildienstes folgende Einsparungen bzw. Mehreinnahmen:
Gegenüberstellung der ErgebnisseIm Folgenden zuerst einmal eine Zusammenstellung der unter den gemachten Annahmen erzielten Abschätzungen:
Die Gegenüberstellung von Kosten und Einsparungen bzw. Mehreinnahmen verdeutlicht, daß selbst ohne die Beschäftigung eines einzigen Arbeitslosen die Ersetzung der Zivildienstleistenden durch tariflich bezahlte Kräfte - unter Berücksichtigung der übrigen gemachten Annahmen - lediglich gut 400 Mio. DM zusätzlich kosten würde, während sich Kosten und Einsparungen bzw. Mehreinnahmen sogar in etwa die Waage halten, wenn man davon ausgeht, daß von den gut 90.000 neu zu schaffenden Stellen ca. 45.000 mit Arbeitslosen besetzt werden. Nicht berücksichtigt bei dieser Abschätzung wurden neben den 'indirekten Effekten' und Faktoren wie dem Anteil des Zivildienstes an den 'Regiekosten' der Wehrpflicht unter anderem auch externe Kosten wie z.B. die Einkommensverluste der Zivildienstleistenden. Kuhlmann und Lippert sprechen von einer 'doppelten Natural-Steuer' der Wehrpflichtigen: zum einen müssen sie ihre berufliche Entwicklung um 12 bis 15 Monate verschieben, was in der Regel zu relativen Verlusten in ihrem gesamten zukünftigen Einkommen führt, zum anderen erleiden sie gerade während ihrer Dienstzeit immense Einkommensverluste im Vergleich zu einer möglichen zivilen Tätigkeit. Bernd Wilz, Parlamentarischer Staatssekretär im Verteidigungsministerium, dazu: "Die Einkommensverluste aller einberufenen Wehrpflichtigen pro Jahr sind dem Bundesminister der Verteidigung nicht bekannt. ... Im übrigen erleiden grundwehrdienstleistende Soldaten im Regelfall keine Einkommensverluste, da die Bundeswehr für die durch die Einberufung bedingten finanziellen Einbußen nach Maßgabe der rechtlichen Bestimmungen eintritt." Kuhlmann und Lippert dagegen schätzen die Einkommensverluste eines Wehrpflichtigen während seiner Dienstzeit pro Jahr auf 14.000 DM (für 1990), Ulrich Finckh beziffert sie aktuell auf mindestens 20.000 DM jährlich. Überträgt man diese Zahl auf Zivildienstleistende, so erhält man einen Betrag von über 2 Mrd. DM jährlich. Kuhlmann und Lippert weisen auf weitere externe Kosten der Wehrpflicht hin. So kommt es zu einer Fehlallokation von Arbeit, da die Wehr- und Zivildienstleistenden dem allgemeinen Arbeitsmarkt entzogen sind. [...] Eine nähere Bezifferung dieser externen Kosten scheint mir jedoch nicht möglich. Da die Kosten im Falle der Einführung einer allgemeinen Dienstpflicht mit denen des Zivildienstes in etwa vergleichbar sind, ist die gesamte Abschätzung auch auf einen solchen Pflichtdienst übertragbar. Als Ergebnis bleibt festzuhalten, daß die weitverbreitete Annahme, Zivildienstleistende seien billige Arbeitskräfte und der jetzige 'soziale Standard' sei ohne sie bzw. andere vermeintlich billige, zwangsverpflichtete Arbeitskräfte nur mit immensem finanziellen Mehraufwand haltbar, einer sehr engen, betriebswirtschaftlich ausgerichteten Sichtweise entspringt. Bei Einbeziehung gesamtwirtschaftlicher Überlegungen hingegen scheint der Verzicht auf den Zivildienst sehr wohl ohne Abstriche bei den Leistungen im sozialen Bereich möglich zu sein. Voraussetzung dafür wäre allerdings eine 'Umschichtung' der Einsparungen und Mehreinnahmen zugunsten der KostenträgerInnen wie z.B. den Krankenversicherungen und Sozialämtern. [...] Konsequenzen für den sozialen BereichKönnen 90.000 neue Stellen im sozialen Bereich besetzt werden? Das vorangegangene Kapitel hat gezeigt, daß es aus finanzieller Sicht keinen Grund gibt, die Zivildienstleistenden nicht durch tariflich bezahlte Arbeitskräfte zu ersetzen - zumindest unter den dort getroffenen Annahmen. In Einzelfällen wird dies bereits heute schon versucht, so z.B. im Zentralkrankenhaus Bremen-Ost auf Betreiben des Personalrats und beim Sozialen Friedensdienst (SFD) in Bremen: "Es ist jetzt überall angebracht, diesen Dienst auf eine andere personelle und finanzielle Basis zu stellen. An dieser 'Konversion' arbeiten wir mit allen anderen ISB-Trägern in Bremen!" [...] Einigkeit herrscht dagegen weitgehend in der Forderung, daß die Tätigkeiten im sozialen Bereich attraktiver gestaltet werden müssen. Dies gilt bereits jetzt, angesichts des vielzitierten 'Pflegenotstandes', wäre aber wohl erst recht erforderlich, wollte man bei Wegfall des Zivildienstes ca. 90.000 Arbeitsplätze im sozialen Bereich neu besetzen. [...] Zur notwendigen Attraktivitätssteigerung werden dabei unterschiedliche Vorschläge gemacht, wie z.B. höhere Löhne, Anhebung der Personalschlüssel im Pflege- und Betreuungsbereich sowie flexiblere Arbeitszeitregelungen und Wiedereinrichtung von Betriebskindergärten, um familiäre und berufliche Belange besser miteinander vereinbaren zu können. [...] Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse[...] Das gewichtigste Argument für die Beibehaltung des Zivildienstes und - so läßt sich nur vermuten eventuell auch für die Beibehaltung der Wehrpflicht - ist der 'billige Zivildienstleistende', ohne den der soziale Bereich zusammenbrechen würde, da Ersatz nicht bezahlbar sei. Diese Meinung ist in der Tat weitverbreitet, entspringt aber im Wesentlichen einer engen betriebswirtschaftlichen Sichtweise. Unter den von mir gemachten Annahmen - die ich im Falle der Kosten eher großzügig, im Falle der Einsparungen und Mehreinnahmen eher vorsichtig gewählt habe - führte die [...] aufgestellte Modellrechnung zu einem überraschenden Ergebnis: Die Ersetzung von Zivildienstleistenden durch tariflich bezahlte Arbeitskräfte würde gesamtwirtschaftlich gesehen keine zusätzlichen Kosten verursachen, vor allem aufgrund immenser Einsparungen im Verwaltungsbereich (Bundesamt für Zivildienst) und bei den Sozialleistungen für Arbeitslose sowie durch Mehreinnahmen bei Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen. [...] Die Ergebnisse dieser Arbeit erfordern meiner Meinung nach, neu über die Notwendigkeit und den Sinn des Zivildienstes (und anderer Pflichtdienste) für den sozialen Bereich nachzudenken. (Auswahl und Kürzungen Rainer Scheer) Die Studie kann durch (lesbare) Überweisung bestellt werden: Sparkasse Bonn, |
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