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Aus Ausgabe 6/94-1/95 (Winter)Streit um Abschiebung von Deserteuren
In München kam es in den vergangenen Monaten zu einem Streit um die Abschiebung von Kriegsdienstverweigerern und Deserteuren nach Ex-Jugoslawien, der noch nicht endgültig entschieden ist. Vorerst gehen die Abschiebungen aber noch mehr oder minder ungestört weiter. In einem "Appell an die Gemeinden und Städte Europas" rief das Europäische Bürgerforum im Juni '94 dazu auf, in jeder Gemeinde mindestens fünf Deserteure und Kriegsdienstverweigerer aus dem ehemaligen Jugoslawien aufzunehmen. Es übertrug somit die Entschließung des europäischen Parlamentes, die Mitgliedsstaaten mögen sich dieser Flüchtlingsgruppe annehmen, auf die Kommunen. Auch der Europarat sprach sich in einer Resolution für die Gewährung von Asyl für Kriegsdienstflüchtlinge aus. Münchens Oberbürgermeister Christian Ude (SPD) nahm diese Aufforderungen beim Wort, und versuchte in Einzelfällen, die in Bayern gängige Abschiebung von Deserteuren zu verhindern. Er ließ von einem Ombudsmann, dem Grünen Rudolf Brettmeister, ein juristisches Gutachten erstellen, in dem dieser zu dem Ergebnis kam, daß die AusländerInnenbehörde, "gleich ob ein Asylantrag vorliegt oder nicht, an die Einhaltung der Grundrechte bei ihrem Handeln verpflichtet" sei. Der Schutz der Familie und der Gesundheit des Flüchtlings gehöre genauso dazu, wie das Recht auf Menschenwürde und das Recht auf Kriegsdienstverweigerung. Diese Rechte seien nicht nur auf Deutsche beschränkt. Zum Recht auf KDV hat auch schon der Bundesgerichtshof in einem Grundsatzurteil ausgeführt: "Eine Entscheidung, die zur Folge hat, daß jemand gegen sein Gewissen zum Wehrdienst mit der Waffe gezwungen wird, verstößt deshalb, unabhängig davon, ob dieser Dienst im Inland oder im Ausland abgeleistet werden soll und ob der Betroffene nach deutschem Recht wehrpflichtig ist oder nicht, stets gegen Art. 4 Abs. 3 GG." (NJW 1977, 1599) Ude wies daher den Kreisverwaltungsausschuß an, vor einer Abschiebung für eine gewissenhafte Prüfung auf "ungeschriebene Abschiebungshindernisse" (Brettmeister) in jedem Einzelfall zu sorgen und ihm, dem OB, im Zweifel die Akten zur letzten Entscheidung vorzulegen. Ziviler Ungehorsam vom AmtsschimmelJedoch stellte sich Kreisverwaltungsreferent (KVR) Hans Peter Uhl (CSU) quer und lapidar fest, daß die Anweisungen nicht umgesetzt werden könnten, "da sie mit dem geltenden Recht nicht in Einklang zu bringen sind." Das Bundesamt für die Abschiebung ausländischer Flüchtlinge hätte schon ausreichend geprüft, so daß für eine Überprüfung der AusländerInnenbehörde kein Raum mehr sei. Eine Einladung zu einer Diskussionsveranstaltung, in der er seinen Standpunkt hätte darlegen können, schlug der Mann in typisch konservativer Manier aus. Auch die Landesanwältin Silvia Brückl schaltete sich ein. Beim Auswärtigen Amt gebe es keine Erkenntnisse, daß Wehrdienstverweigerer in Ex-Jugoslawien menschenunwürdig behandelt oder der Folter ausgesetzt würden. Es sei im übrigen die ureigenste Aufgabe jedes Staates, seine Wehrfähigkeit durch Erlaß eines Wehrpflichtgesetzes zu regeln. Zudem rief Hans Peter noch flugs die Kavallerie zu Hilfe und verlangte "Rechtsklarheit" von den "Aufsichtsbehörden". Die oberbayrische Regierung kam auch gleich in die Hufe und forderte Ude auf, die Weisung zurückzunehmen. Das Brettmeister-Gutachten sei auch nicht weiter beachtenswert, denn: "Die angeführte verfassungsrechtliche Literatur und Rechtsprechung trägt die Rechtsauffassung der Landeshauptstadt München nämlich nicht". Die InnenministerInnenkonferenz habe außerdem einen generellen Abschiebestop für KDVer aus Ex-Jugoslawien "aus wohlerwogenen Gründen" abgelehnt. Wäre die Berücksichtigung der Desertion und KDV aus verfassungsrechtlichen Gründen geboten, so müßte dieser Umstand bereits in die Entscheidung des für AsylbewerberInnen zuständigen Bundesamtes einfließen. Aber weil die über die Meinung Herrschenden das anders sähen und das AusländerInnengesetz kein Abschiebungshindernis "Kriegsdienstentziehung" kenne, sei das nun mal nicht so. Auch das Innenministerium hatte dem OB schon zuvor erklärt, die generelle Aufnahme von Wehrdienstflüchtlingen würde zur Folge haben, daß Serben trotz des UNO-Embargos in Deutschland arbeiten und Geld verdienen könnten. Es wäre dann auch nicht zu verhindern, daß diese hier verdienten Devisen nach Serbien gelangten. "Damit könnte Restjugoslawien trotz des UNO-Embargos mit harter Währung kriegswichtige Güter beziehen, die dann auch den irregulären Einheiten der Serben in Bosnien und Kroatien zur Verfügung gestellt werden könnten." (Die Welt ist aber auch schon verworren...) Im übrigen sei Fahnenflucht in der jugoslawischen Armee an der Tagesordnung. Den Verweigern drohten nur geringe Strafen - "soweit überhaupt ein Verfahren eröffnet wird". (Nu is alles wieder ganz einfach.) Dagegen gratulierte das Europäische Bürgerforum Ude für "seine mutige Entscheidung". Monolog über den "saublöden Jugoslawen"Auf einen LeserInnenbrief von Gerti Kiermeier (DFG-VK), in dem sie Partei für die Deserteure ergriff, erhielt sie ein anonymes Antwortschreiben: "Ja da krieg ich ja an Kropf, wenn ich den Schmarrn von Ihrem Leserbrief lese. Sie nennen das Kriegsdienstverweigerer, faule Hund sinds, Verbrecher und Taugenichtse, die wissen bei uns kann man was kriegen, die blöden Deutschen, denen wirds ja an jeder Ecke genommen, und helfen sollen wir den saublöden Jugoslawen auch noch dafür, daß sie für die Fleißigen die 30 Jahre u. länger bei uns gearbeitet haben, alles vernichten. Und so blöd wie die sind ja auch etliche Deutsche, aber solchen, auch wie Ihnen, gehören mindestens 3 solcher dahergelaufenen Kriegsdienstverweigerer in die Wohnung getan. Helfen Sie denen? Bestimmt nicht, denn so hirnlos wie ihr Brief sind die Menschenrechte, immer nur für die Verbrecher. Ist irgendwo ein Asylant dabei, der nicht weiß, wo er bei uns was zu holen findet, ob das Sozialamt ist oder Einbruch, taugen tut keiner was. Aber bis das all den primitiven Hohlköpfen einfällt sind wir die Asylanten und die anderen beherrschen uns. Glauben Sie mir, wenn sich da nicht bald was ändert, brauchen wir keine 5 Jahre mehr warten, dann gibts kein Deutschland mehr. Das Ausländergesindel nimmt so überhand, das ist ehrlich zum fürchten." Dieser unangenehme Zeitgenosse hat ausgekotzt, was wohl in den meisten erzkonservativen Köpfen vorgeht, die Urangst der Privilegierten vor der Gleichstellung aller Menschen. Ude & Uhl im RingErster Höhepunkt des Streits zwischen Ude und Uhl war eine Debatte im Stadtrat. Der OB legte dort seine Rechtsauffassung nochmals dar, demnach zwar das Asylverfahren und die Aberkennung beim Bundesamt liege, aber die städtische AusländerInnenbehörde, die für die Abschiebung zuständig sei, etwaige Hindernisse zu prüfen habe. Zudem pochte er darauf, daß er der Chef sei und sich der KVR gefälligst an seine Anweisungen zu halten habe. Uhl bezeichnete die zur Untermauerung der Rechtsauffassung Udes angeführten Gerichtsentscheidungen als "windige Collage" und nannte den Ombudsmann Brettmeister einen "politischen Triebtäter". Ein CSU-Parteifreund forderte dann auch die Abschaffung der Ombudsstelle, die ja immerhin die Rechte der BürgerInnen gegenüber dem Staat vertreten soll. Aber ein Mitspracherecht der Untertanen ist ohnehin nicht so das Ding der CSU. Während sich nach der Debatte Bayerns Innenminister Beckstein schützend vor 'seinen' Ordnungshüter Uhl stellte, erhielt Ude eine ganze Reihe von Solidatitätsbekundungen aus dem In- und Ausland. Erneute Prüfung verbotenSchließlich jedoch verbot die Landesregierung die Einzelfallprüfung druch die städtischen Behörden. Jubel in der CSU-Ratsfraktion: "München wird somit kein Eldorado mehr für Deserteure". Und Uhl: "In München wird es keine Extrawurst für Deserteure und Brettmeister-Amigos mehr geben." "Politische Triebtäter dürfen die Mitarbeiter der Ausländerbehörde nicht länger schikanieren." Er werde sich auch in Zukunft dafür einsetzen, "daß das Recht in meiner Behörde mit Augenmaß und frei von Willkür vollzogen wird". Wie das allerdings vor sich gehen soll, eine subjektive "Augenmaß"-Entscheidung frei von Willkür zu halten, weiß allein der christsoziale Herrgott. Ein Orden für UhlDie DFG-VK bedankte sich beim KVR "für seinen tapferen Kampf gegen die Wehrkraftzersetzer des jugoslawischen Bürgerkrieges." "Durch die Unterstützung der Generäle und Kriegsherren des ehem. Jugoslawiens zeichnet sich Herr Dr. Uhl als Held an der Heimatfront aus. Die DFG-VK wird ihm deshalb den Orden 'Ritter der fünften Kolonne' bei nächster Gelegenheit persönlich übergeben." Ob Hans Peter der blutgetränkte Pokal bei einer Kundgebung am 8. Oktober persönlich überreicht werden konnte, ist der Redaktion leider nicht bekannt. Ude klagt gegen RegierungsweisungUnterdessen wollte sich Ude nicht mit diesem Stand der Dinge abfinden und hat gegen die Weisung der Landesregierung geklagt. (rs) Quellen: Jugo-Info Nr. 6 und 7 der DFG-VK München; Gruppenrundbrief der DFG-VK Bayern, Nov. '94) |
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