Aus Ausgabe 3-4/93 (Juli)

Zu den Einstellungsversuchen bei den Prozessen zu Sitzblockaden

Klaus Vack, Sekretär des Komitees für Grundrechte und Demokratie, hat vom Amtsgericht Schwäbisch Gmünd die Mitteilung erhalten, daß das Gericht in Übereinstimmung mit der Staatsanwaltschaft Ellwangen ein Strafverfahren gegen ihn eingestellt habe, das auf einem Strafbefehl vom 17. Januar 1989 beruht. Dieses Vorgehen entspricht genau der im vorhergehenden Text von Helmut Kramer dargestellten Taktik der Justiz, sich aus einer 'Niederlage' lautlos und ohne Eingeständnis der eigenen Fehler zurückzuziehen, nachdem sich ein repressives Vorgehen als nicht haltbar erwiesen hat. (Red.)

Der Strafbefehl lautete auf "9 Taten der gemeinschaftlichen Nötigung" und betrifft Sitzdemonstrationen aus den Jahren 1986 und 1987 gegen die seinerzeit in Mutlangen noch stationierten Pershing-2-Atomraketen. Gericht und Staatsanwaltschaft erkannten in diesem Strafbefehl auf 9 * 50, also insgesamt 450 Tagessätze, die zu einer Gesamtgeldstrafe von 200 Tagessätzen zu je 40.- DM, also 8.000 DM zusammengefaßt wurden. Gegen diesen Strafbefehl legte Vack Einspruch ein.

Das Amtsgericht Schwäbisch-Gmünd hatte allerdings in den verstrichenen vier Jahren nie eine Hauptverhandlung anberaumt. Dieses Vorgehen ermöglichte es jetzt, das Verfahren im Einvernehmen von Gericht und Staatsanwaltschaft ohne Zustimmung des Angeklagten Vack einzustellen. Zwar wurde ihm Gelegenheit zu einer Stellungnahme gegeben, die auch erfolgte, und in der er sich ausführlich gegen die beabsichtigte Verfahrenseinstellung verwahrte und "eine ordentliche Verhandlung und Freispruch" verlangte.

Da die Einstellung des Verfahrens dennoch vorgenommen wurde, und Vack nun kein formelles Rechtsmittel gegen den Einstellungsbeschluß mehr zur Verfügung steht, hat er über seinen Rechtsanwalt Frank Niepel im Wege einer Verfassungsbeschwerde beantragt festzustellen, daß der Einstellungsbeschluß das im Grundgesetz der BRD verankerte Rechtsstaatsprinzip verletzt. Vack will erreichen, daß das Verfassungsgericht die Einstellung aufhebt und die Sache zur Verhandlung an das Amtsgericht Schwäbisch Gmünd zurückverweist.

Als Kernargument führt Rechtsanwalt Niepel aus: "Bei Klaus Vack handelt es sich gerichtsbekannt um einen der Hauptorganisatoren von gewaltfreien Sitzdemonstrationen gegen Massenvernichtungswaffen an verschiedenen Orten der Bundesrepublik. Er ist ein Überzeugungstäter und im übrigen der Auffassung, daß dieses Verhalten zu Unrecht als Straftat gewertet, verfolgt und verurteilt wird."

Vack will deshalb auch nicht gelten lassen, daß sich Amtsgericht und Staatsanwaltschaft darauf berufen, daß er in anderen Fällen, bei denen es ebenfalls um Sitzdemonstrationen ging, "rechtskräftig" einmal zu 30 und einmal zu 27 Tagessätzen verurteilt wurde. Der Hinweis auf solche vergleichbaren "Bestrafungen" sei in diesem Falle lächerlich, denn es bestehe ein extrem gravierendes Mißverhältnis zwischen 57 und 200 Tagessätzen Geldstrafe.

Klaus Vack sieht in der Einstellung den Versuch von Gericht und Staatsanwaltschaft, eine inzwischen unangenehme Sache "klammheimlich aus der Welt zu schaffen". Die Einstellung sei nur vor dem Hintergrund zu verstehen, daß sich in der Rechtsprechung in Sachen "Nötigung" der Wind gedreht habe, zunehmend Freisprüche erfolgten bzw. Verurteilungen (im Falle Vack zweimal) von Obergerichten kassiert würden.

Vor allem geht es jedoch um ein grundsätzliches Problem des Rechtsstaates. Es sei höchst undemokratisch, so Vack, daß sich der Bundestag - obwohl vom Bundesverfassungsgericht mehrfach aufgefordert - nach vielen Jahren immer noch nicht bereit gefunden habe, den 240 StGB ("Nötigung") abzuschaffen oder wenigstens auslegungssicher zu formulieren, und deshalb Staatsanwaltschaften und Tatgerichte als Büttel dieser Politik herhalten und jetzt, da die Raketen abgezogen sind, irgendwelche Tricks suchen müssen, um die noch anhängigen Verfahren ohne Gerichtsverhandlung zu erledigen. Zudem lehre die Erfahrung mit dem Nötigungsparagraphen, daß er oft über Jahre ein schlummerndes Dasein friste, um beim nächsten politischen Konflikt größeren Ausmaßes wieder als Strafknüppel aus dem Sack geholt zu werden.

Nicht zu unterschätzen sei auch der Schaden, den die Rechtssicherheit nähme, wenn tausende Bürgerinnen und Bürger wegen vergleichbarer Sitzblockaden rechtskräftig verurteilt worden seien, nicht wenige von ihnen eine Gefängnisstrafe abgesessen hätten, und nun, weil die Justiz "keine Lust mehr hat, die ganze Sache, die über Jahre kontrovers in der Öffentlichkeit diskutiert wurde, in ein staatsopportunistisches Bermuda-Dreieck entschwindet".

Rechtsanwalt Niepel: "Es steht im demokratischen Rechtsstaat schon lange an, als Gesetzgeber reinen Tisch zu machen und die zu Unrecht verurteilten Mitglieder der Friedensbewegung zu rehabilitieren."


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